© nonconform- Leerstandskonferenz 2011 in Ottensheim
© nonconform- Leerstandskonferenz 2011 in Ottensheim

Ortsentwicklung ohne Leerstand: "Wer nicht handelt hat schon verloren!"

Nachlese 1. österreichische Leerstandskonferenz 2011 in Ottensheim, OÖ

© nonconform- Vonwillerareal Haslach
© nonconform- Vonwillerareal Haslach

Ottensheim- Am 20. und 21. 10. 2011 fand in den Räumen des Amtshauses Ottensheim die erste österreichische Leerstandskonferenz statt. Initiiert wurde diese vom Architekturbüro ‘nonconform architektur vor ort’.

Die Räumlichkeiten vor Ort hätten nicht besser gewählt werden können, da das Amtshaus eine bereits mit dem Staatspreis ausgezeichnete Symbiose eines zuvor leer stehenden mittelalterlichen Hauses am Stadtplatz von Ottensheim mit einem zeitgemäßen Neubau von SUE-Architekten darstellt.

Ausgangspunkt für die Veranstaltung sind die in ihrer Tragweite noch weitgehend verkannten Folgen von wirtschaftlicher und sozialer Ausdünnung und Entwertung dezentraler Regionen und die damit einhergehenden leer stehenden Bauwerke bzw. überdimensionierte kommunale Infrastruktur.

Einfamilienhäuser sind davon gleichermaßen betroffen wie öffentliche Gebäude sowie industrielle und landwirtschaftliche Bauwerke.

Aufgrund des Strukturwandels in Landwirtschaft und Industrie und demografischer Veränderungen betrifft das Thema Leerstand unsere gesamte bauliche Umwelt: vom frei stehenden Einfamilienhaus am Stadtrand aus den 1970ern bzw. aussterbenden Ortskernen mit weit zurückreichender Geschichte bis zu Schrumpfungsprozessen in ganzen Regionen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der vorhandenen Bausubstanz ist genauso dringlich, wie ein Überdenken von weiteren Baulandwidmungen und der damit verbundenen Zersiedelung.

Die Vortragenden kamen nicht nur aus unterschiedlichen Regionen Deutschlands und Österreichs, sondern auch aus unterschiedlichsten Funktionen: So standen einem äußerst breiten Spektrum an Bestandsberichten auch ebenso unterschiedliche Lösungsansätze gegenüber.

Prof Alfons Dworsky (TU Wien) legte mit seinem Vortrag: ‘Rodung-Siedlung-Wüstung’ eine umfassende Basis geschichtlicher Fakten dar, die auch schon erkennen ließ, dass das diskutierte Phänomen nicht neu ist. Wüstung ist nur die endgültige Folge versäumter bzw. nicht möglicher Nachnutzung und trat in der Vergangenheit fast überall auf. Einzige Ausnahme bilden die Behausungen der Nomaden, da diese auf Mobilität ausgerichtet sind. Dieser ‘Vorteil’ wird aber durch den Umstand verursacht, dass das Lebensumfeld der Nomaden damals wie heute keine ausreichende Versorgung einer sesshaften Bevölkerung auf Dauer erlaubt.
Auch in weiterer Folge der Geschichte waren es land- und transportwirtschaftliche Zwänge, die die Größe städtischer und ländlicher Siedlungsstrukturen festlegten. Erst seit Transportkosten keine wesentliche Rolle mehr spielen kommt es zu immer rascherem Wechsel der Nutzungsanforderungen.

Das Büro Arquitectos präsentierte eine Studie zu den Getreidesilos der Lagerhäuser in Österreich: Aufgrund des Nutzens für die Bevölkerung wurde deren Erscheinungsbild kaum hinterfragt. Und selbst wenn manche davon heute leer stehen, haben sie durch ihre ideale Eignung für Funkmasten bereits eine Umnutzung erfahren und bringen ihren Eigentümern weiterhin (zusätzlichen) Nutzen.

Mit gänzlich anderen Problemen setzt sich Herr Dr Naumann vom Leibnitz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung aus den neuen Bundesländern Deutschlands auseinander:
Nach der Wende wurden vielerorts neue Wasserleitungs- und Kanalnetze errichtet. Bei der Größenauslegung wurde teilweise auch von einem weiteren Bevölkerungswachstum ausgegangen. Heute sind ganze Regionen mit einer Infrastruktur konfrontiert, die a) nicht abbezahlt und b) viel zu groß für die verbliebene Bevölkerungszahl ist. Folgen sind ständig steigende Fixkosten für die Kommunen durch verstärkte Korrosion in den Kanalanlagen bzw. Verkeimung im Trinkwasserleitungsnetz zwischen Wasserwerk und Entnahmestelle aufgrund der zu geringen Umwälzungen. Demografischer Wandel in Verbindungen mit rapide abnehmenden Bevölkerungszahlen (-40% in wenigen Jahrzehnten) und abwandernder Industrie führen letztendlich zu der Frage, was der Staat/ die kommunalen Ebenen an Aufgaben des Gemeinwohls heute noch erfüllen müssen/können. In diesen Gegenden sind aus heutiger Sicht auch Wüstungen (mit all den damit verbunden Schicksalen der Bewohner, die nicht abwandern können oder wollen) nicht nur von Dörfern sondern auch Städten wahrscheinlich. Aufgrund der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten der öffentlichen Hand geht man gezielt dazu über, nur mehr einzelne lokale Zentren zu unterstützen.

Im Referateblock Südwestfalen ging es um Strategien zur Gegensteuerung. Frau Prof Schröteler-von Brandt (Fachbereich Architektur und Städtebau der Universität Siegen) wies in ihrem Vortrag speziell darauf hin, dass alle handelnden Personen aufgerufen sind, die Augen für Bedarf und Nachfrage offenzuhalten. Dazu sei es unumgänglich differenziertes Datenmaterial zu erheben und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Nicht nur die Erfassung tatsächlich leerstehender Gebäude sei wichtig, sondern auch jener, deren Bewohneralter bereits einen künftigen Leerstand vermuten lassen.

Abgesehen vom demografischen und strukturellen Wandel hängen die Leerstände aber auch noch mit der Substanzqualität zusammen bzw. werden diese durch nicht gepflegte Dorfgemeinschaft beschleunigt.

Deshalb dürfen sich die Gegenmaßnahmen nicht auf das Erfassen und vermitteln von Leerständen beschränken, sondern müssen auch auf die Rahmenbedingungen wirken: Von Imagekampagnen für den ungewöhnlichen Schritt (‘Junge Menschen kaufen alte Häuser’) über Angeboten zu Beratungsleistungen (kostenlose aber verbindliche Erstberatung durch Architekten) bis zu Förderungen für den Abbruch von Objekten in kritischen Zentrallagen.
Weiters ist es wichtig, das kommunale Konkurrenzdenken aufzugeben, um voneinander zu lernen und durch ein gemeinsames Auftreten überregional besser wahrgenommen zu werden. In Südwestfalen hat es dazu einen Zusammenschluß von fünf Landkreisen gegeben, wo mittels vielfältigen Ansätzen fünf Jahre lang ein Prozeß zur eigenverantwortlichen Umgestaltung in Gang gesetzt werden soll. Die allerwichtigste Voraussetzung ist dabei zuerst einen Wandel in den Köpfen zu erreichen, denn mit den wachstumsorientierten Lösungen aus der Vergangenheit ist die heutige Herausforderung nicht zu bewältigen! Dazu wird es immer wichtiger, dass die Gemeinschaften selbst die Initiative ergreifen anstatt auf hoheitliches Handeln zu warten.

Christoph Ewers, Bürgermeister von Burbach ist trotz guter Ausgangslage seiner 15.000-Einwohner Gemeinde den Leerständen im Ortsgebiet nachgegangen: Mittels umfassender Information und Aufklärung der Bevölkerung, Hervorheben beispielhafter Lösungen, Förderung von Beratung und Finanzierung bis zur Einrichtung eines Baulückenmanagements reichen die Maßnahmen. Das Zwischenergebnis kann sich sehen lassen: 220 von rund 500 unbebauten und als ‚nicht zum Verkauf stehend‘ geltenden Grundstücken in zentraler Lage konnten vermittelt und einer Bebauung zugeführt werden. Im Gegenzug dazu wurden die Baulandflächen im Umland rückgewidmet und die Ausgangslage für die Infrastrukturerhaltung der kommenden Generationen erheblich verbessert. Möglich wurde all das nur durch die Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Der letzte Block widmete sich verschiedenen Leerstands-Vermittlungsformen:
Fritjof Mothes aus Leipzig stellte sein Wächterhauskonzept vor: Leipzig verfügte bei rund 500.000 Einwohnern 2005 über mehr als 60.000 leerstehende Wohneinheiten. Damals brannte beinahe wöchentlich ein leerstehendes Gebäude ab, da es keine nachbarschaftliche Kontrolle mehr gab. Stadt-und Regionalplaner Mothes gründete den Verein ‘Haushalten’, um zwischen Nutzern und Eigentümern, die in verschiedenen Welten leben und zwei unterschiedliche Sprachen sprechen, zu vermitteln.

Seither konnten 17 denkmalgeschützte Häuser in städtebaulich relevanten Lagen durch Nutzung vor dem Verfall und dem Abbruch gerettet werden. An die 200 Bewohner sind dabei von einem vorübergehenden schon in ein dauerhaftes Mietverhältnis eingetreten. Die Wirksamkeit der Initiative zeigt sich auch darin, dass sogar benachbarte Häuser wieder renoviert und vermietbar werden.
Auch Herr Mothes wies darauf hin, dass für das Gelingen dieser Arbeit die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Behörden und Verein Voraussetzung sind.

Während der Verein Fruchtgenuß ähnliche Ziele im Raum Linz verfolgt, will Schwemmland auf die Qualitäten ungenutzter, teilweise versteckter Stadträume aufmerksam machen.

Zu fortgeschrittener Stunde wurde neben oberösterreichischen Spezialitäten den rauchenden Köpfen noch die digitale Ideenwerkstatt vor Ort präsentiert.

Der Vormittag des zweiten Konferenztages war fünf österreichischen Pilotprojekten und deren praktischer Umgang mit Leerstand gewidmet:

• Ortskernentwicklung Ottensheim/OÖ
• Ortskernrevitalisierung Silz/Tirol
• Redisign Eisenerz/Stmk
• Reanimierung Stadt Haag/NÖ
• Ortskernaktivierung Waidhofen an der Ybbs/NÖ

Die Veranstalter sahen für jeden Konferenzbesucher die Teilnahme an einem dieser Beispiele vor, wo in eineinhalb Stunden ein Überblick über die meist schon einige Jahre laufenden Projekte gegeben wurde.In einer Plenumrunde wurden dann alle fünf Projekte allen Teilnehmern in je fünf Minuten wiedergegeben:

Zusammenfassung zu…
… Ortskernrevitalisierung Silz:
• Bestandsaufnahme und Bewustseinsbildung zu Beginn
• Nachbarschaftshilfe im Bestand überraschend groß
• klare Eigentumsverhältnisse nötig

… Redisign Eisenerz:
• Sanierungsstudie eines Wohnquartiers war zu wenig; umfassenderer Ansatz nötig
• Prozessbegleitung mit einer Ansprechperson (‘einem Gesicht vor Ort’)
• ‘Macht der Bilder’ nutzen > Schönes wird Wirklichkeit

…Reanimierung Stadt Haag:
• jede Stadt hat ihr Thema (das gefunden werden will!)
• Visionäre und Meinungsbildner begeistern
• konkrete Ziele konsequent verfolgen (Schritt für Schritt)
• mutig sein

… Ortskernaktivierung Waidhofen an der Ybbs:
• professionelles Leerflächenmanagement
• Frequenzen schaffen Nutzung
• Leerstandsschmerzgrenze bei 20%

Als Exkursionsziel stand Haslach im nördlichen Mühlviertel auf dem Nachmittagsprogramm:

Das Ortsbild und damit auch die Geschichte des heute 2500 Einwohner zählenden Ortes wurde in den vergangenen 150 Jahren durch die mächtige Baukörperansammlung der Vonwiller-Textilfabrik im Zentrum beherrscht. Einige Jahre stand der Komplex nach der Insolvenz 1999 leer, bis die Gemeinde das Objekt erwarb. Die vorhandenen Flächen von rund 5000m² waren für die zusammengefaßten Projekte des Ortes sowie weitere überregionale Nutzungen sogar noch zu klein und mußten aufgestockt werden.
Die Revitalisierung ist vor allem auch dem Einsatz einzelner Haslacher zu verdanken wie dem Bgmster Leitner und dem ortsansässigen Architekten Josef Schütz. Letzterer hat bereits in den 1980ern seine Diplomarbeit zur Entwicklung des Ortskerns von Haslach verfasst und damit eine Basis für die Umsetzung dieses außergewöhnlichen Projektes gelegt.
Eine Herausforderung für die Zukunft bleibt neben weiteren Leerständen im Gemeindegebiet Haslach auch die Frage, wie es der Gemeinde und allen mitwirkenden Bewohnern gelingen wird, ein derartig großvolumiges Projekt wirtschaftlich zu führen und zu erhalten.


Fazit:
Leerstände zählen bereits heute zu den größten Herausforderungen kommunaler Politik, werden aber meist in ihrer Tragweite noch nicht erkannt. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass es in der Lösung dieser Herausforderung nicht primär ums Bauen, Sanieren oder Abreißen geht, sondern darum, die Menschen vor Ort zu erreichen und im Prozess mitzunehmen.
All das braucht das Engagement verantwortlicher Ortspolitiker und Mitstreiter aus der Bevölkerung, aber auch Zeit um in den Köpfen der Betroffenen Früchte zu tragen.
Es geht um einen Wandel in der Struktur - ohne Wachstum.

Die Anzahl betroffener konkurrierender Orte mit niedriger Ausstattung, die über kein Alleinstellungsmerkmal verfügen, nimmt gerade im ländlichen Raum zu. Darum ist es wichtig die individuellen Stärken zu entdecken, diese zu nutzen und sich in Regionen zu vernetzen, um diese auch nach außen zu tragen.
Egal, für welchen Weg und welche Maßnahmen sich eine Gemeinde entscheidet, ist es wichtig zu wissen:
‘Wer nicht handelt hat schon verloren!’

GastautorIn: DI arch Dietrich Waldmann für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /