© Oekonews- Gernot Neuwirth
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Impressionen vom Tierschützer-Prozess - Teil 2

Tag 2- neue Eindrücke..

Tag 2: Neue Eindrücke I: „Kein Richter, zwei Staatsanwälte?“

Heute geht es um DDr. Balluch. Die Atmosphäre im Saal wird fast unerträglich – und das ist großteils der Richterin zuzuschreiben: Nicht nur unterbricht sie dauernd die Antworten des Hauptangeklagten, sie dreht sich auch, wenn sie ihn doch ausreden lässt, ihrem Assistenten und dessen Computer zu, spricht mit ihm, sucht mit ihm nach dem nächsten Dokument, verschwindet fast hinter seinem Bildschirm. ‘Bli,bla,blu – ich glaub, Sie hör’n nicht zu’ scherzt Balluch über diesen unerhörten, den ganzen Vormittag dauernden Affront. Man muss sich das vorstellen: Da geht es fast um Leben und Tod von 13 jungen Menschen – 10 von ihnen wurde schon durch die U-Haft ein Teil ihres Lebens gestohlen und auf § 278a stehen bis zu fünf Jahre - und die Person, die allein entscheiden wird, zeigt so offen ihr Desinteresse an dem, was sie zu sagen haben. Was nämlich vielen Besuchern erst jetzt klar wird: Am ersten Tag hat die Richterin erläutert, ‘das Gericht’ werde einen fairen Prozess führen und nur wenn ‘das Gericht’ zweifelsfrei von der Schuld eines/einer Angeklagten überzeugt sei, könne es ihn/sie verurteilen usw. usw. Aber – ‘das Gericht’ ist ausschließlich sie selbst! Es gibt zur Überraschung naiverer Beobachter keine Schöffen, keine Geschworenen, nur sie und den Staatsanwalt. Und nun rückt gar auch sie mit vermeintlich belastendem Material heraus, das sie selbst zusammengestellt hat, ‘im Zuge der Wahrheitsfindung’, wie sie mehrmals erläutert. Eine entsetzte Zuhörerin kommentiert das so: ‘Ein Prozess ohne Richter, dafür mit zwei Staatsanwälten?’

Tag 2: Neue Eindrücke II: Balluch

Bei seinen Antworten muss DDr. Balluch immer wieder innehalten – weil ihn die Richterin unterbricht, um ganz neue Fragen zu stellen, oder weil sie zu demselben Zweck mit ihrem Assistenten am Computer herumsucht. Schließlich resigniert Balluch und sagt, was er zu sagen hat, auch wenn er weitgehend gegen eine Wand spricht. ‘Ich hör eh zu’, sagt diese Wand immer, wenn er aufhört, und wiederholt mechanisch seine letzten drei Worte, die sie noch im Ohr hat. Solche Personen sind uns ja allen auch aus dem Alltagsleben bekannt, sie zählen zu den unerfreulichsten Zeitgenossen und man meidet sie am besten, wo man kann. Als Angeklagter kann man nicht. Die Richterin müsste ein Wunderkind sein, um sich auf beides konzentrieren zu können – und ihr Hauptinteresse gilt augenscheinlich dem Computer des Assistenten.
Überzeugend kann Balluch alle Fangfragen entkräften – überzeugend für die, die zuhören. Strebt er eine Gesellschaft an, die keine Tiere mehr tötet? Balluch erklärt den Unterschied zwischen Ideal und pragmatischem Ziel – versucht werde gegenwärtig lediglich, mit legalen Mitteln die grausamsten Auswüchse der Tierquälerei zu dokumentieren und durch Gesetzesänderungen abzustellen. Hätte er gesagt, sein konkretes Ziel sei eine vegane Gesellschaft, würde das wahrscheinlich als Aufzwingen eines Minderheitswillen auf den Rest der Menschheit interpretiert. Ob die Richterin den Unterschied gehört hat, bleibt ungewiss.
Balluch brilliert mit Witz, Schlagfertigkeit und Kenntnissen auch außerhalb des Tierschutzbereiches. Seine haushohe intellektuelle Überlegenheit gegenüber dem Gericht auszuspielen, hütet er sich jedoch sorgsam. Nur manchmal kann er sich’s nicht mehr verkneifen – und das sicher zu seinem Schaden: Der Staatsanwalt deckt auf, dass sich Tierschützer oft ein Tadschit setzen. Balluch meint, er wisse zwar nicht, was ein Tadschit sein solle, aber vielleicht meine der Herr Staatsanwalt ein Tagit, eine Zielsetzung (richtige Aussprache von englisch ’target’). Der Berichterstatter denkt, dass diese Korrektur den Herrn Staatsanwalt sicher sehr wurmen wird. Dieser kann ja nicht wissen, dass jemandem, der Englisch kann wie Balluch oder Englisch lehrt wie der Berichterstatter, eine solche Fehlaussprache Magenschmerz bereitet.
Aber ob Balluch den Staatsanwalt noch mehr gegen sich aufbringt oder nicht, ist eigentlich egal. Wichtiger wäre, sich der Richterin als das unterwürfige Zniachterl zu präsentieren, das sich seiner machtlosen Winzigkeit voll bewusst ist. Das tut er nicht. Als sie ihn über seine vermeintliche Bekanntschaft mit einem englischen Tierschützer befragt, der wegen Brandstiftung (die er immer bestritt) in einem englischen Gefängnis saß und dort durch Hungerstreik umkam, da erläutert Balluch, dass dieser Barry Horne der Öffentlichkeit vor allem durch Delphin- und Hundebefreiungen bekannt gewesen sei und dass … Die Richterin unterbricht ihn wieder einmal und dann sagt sie, die Juristin, jaja, man glaube das schon, dass Horne auch LEGALE Aktionen durchgeführt habe. Balluch, der Nichtjurist, belehrt sie: Tierbefreiungen seien keineswegs legal – ‘aber super’! Dafür brandet erstmals Applaus auf und die Richterin, eh schon genervt durch die juridische Belehrung, verliert nun ihre mühsam gewahrte Contenance samt ihrem Hochdeutsch und fällt in den regionalen Dialekt zurück. In diesem Idiom gibt es nun Schelte für die Anwesenden und die Drohung mit Konsequenzen (die letztlich bis zur Räumung des Saales reichen könnten).

Tag 2 – Neue Eindrücke III: Charmante, aufmerksame Richterin

Dem Berichterstatter reicht es für heute und er räumt den Saal freiwillig. Die Nachmittage gibt er sich nicht, darum kann er auch nicht über die Reden der Verteidiger am ersten Tag berichten. Die hielten sich laut den Medien vorläufig im Allgemeinen.

Seine Zählkarte gibt er an einen Wiener Neustädter Freund weiter und der ruft ihn am Abend an: Die Sache stehe offenbar sehr gut für die Tierschützer, denn die Richterin zeige sich interessiert, geduldig, charmant und er habe einen ausgesprochen guten Eindruck von ihr. Berichterstatter ist verwirrt. Können zwei vernünftige Menschen so verschiedene Eindrücke von ein und derselben Sache haben? Ist sein eigenes Vorurteil so stark, dass es sein Urteilsvermögen getrübt hat? Die Lösung des Rätsels kommt am dritten Tag.

Lesen Sie morgen weiter: Tag 3!

Lesen Sie Teil 1:
Impressionen vom Tierschützer-Prozess Teil 1

GastautorIn: Univ.-Lektor Mag. Dr. Gernot Neuwirth für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /