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Recht auf Wasser für alle - "No Risky Dams" - Ein Widerspruch?

Eine Ansichtssache von Ilse Kleinschuster

Beim Weltwasserforum 2009 in Istanbul gab es Protestkundgebungen, wobei vor dem Konferenzzentrum Transparente mit der Aufschrift "no risky dams" zu sehen waren, deren TrägerInnen, obwohl von den Veranstaltern zur Teilnahme eingeladen, dies abgelehnt hatten. Sie wurden von der Polizei verhaftet und gleich auch des Landes verwiesen. Fast zur selben Zeit gab es in Österreich Proteste der Naturfreunde gegen den – im Zuge der Gaskrise – von seiten der Wirtschaft geforderten verstärkten Ausbau der Wasserkraft. Hier wie dort - gerechtfertigt?

Darüber korrespondierte ich mit einem bekannten Schweizer Wasserbauexperten, der seit vielen Jahren in der ganzen Welt Talsperren gebaut bzw. ihren Bau geplant, begutachtet und dazu kritische Arbeiten verfasst hat.

Meine erste Frage war, ob es wirklich gerechtfertigt sei, die Natur zuzubetonieren, um noch mehr Energie für "hybrides Wachstum" zu gewinnen:
"Fast alle der heute gebauten Talsperren sind "Mehrzweckanlagen", d.h., sie dienen nicht nur der Stromerzeugung, sondern auch dem Hochwasserschutz, der Trinkwasserversorgung und vor allem der Bewässerung. Von diesen vier Zwecken 'dient' einer der "Wachstumsgesellschaft"; den anderen dreien sollten NGO'S eigentlich zustimmend begegnen. Wenn es hier um Werte der Humanität geht, so klingt ein Protest im Zusammenhang mit Talsperren in Entwicklungsländern wie Hohn.

38% der Landwirtschaftsfläche Asiens ist künstlich bewässertes Land - und nahezu 50% davon ist Wasser aus Stauseen. Ohne dieses Wasser wäre die Hungersnot der Welt noch größer, - wie können das Umweltapologeten in ihr Pauschalurteil integrieren!?!

Ich habe kein Problem mit "no risky dams". Aber ich habe Probleme, wenn alle Talsperren über einen Leisten gebogen und als "risky dams" hingestellt werden. Da fehlt ehrliches Hinterfragen der eigenen Prinzipien; da fehlt dieses von Sir Karl Popper eingeforderte Interesse "to obtain objective knowledge".

Meine zweite Frage, ob man denn nicht von Seiten der Weltwasserforen versuchen sollte, schon im Vorfeld Dammbau-Gegner "aufzuklären", ihnen die Möglichkeit zum Dialog bieten sollte: "Ich erinnere mich an zwei Wasserbaukonferenzen (in Bern 2000 und Porto 2004), wo vor dem Konferenzzentrum protestierende NGO's zu einem Gespräch eingeladen wurden, dies aber von ihnen abgeleht wurde, mit der Begründung, man begäbe sich ja nicht in die Höhle des Löwen.

Danach hat man die damals protestierenden NGO's schon in der Planungsphase der Konferenz um eine Teilnahme gebeten und hat wieder einen Korb bekommen. Das mag nicht typisch sein, sind aber meine ganz persönlichen Erfahrungen.
In Ländern wie Brasilien, China oder der Türkei kann man Bewässerung oder Hochwasserschutz nicht mit kleinen Wasserkraftwerken bewerkstelligen. Da geht es nicht um Wachstum, sondern darum, bedürftigen Menschen eine bessere Lebensgrundlage zu geben.
Das vielgehörte Postulat nach einer Reihe von kleinen Talsperren statt einer großen, kann im Falle von Mehrzweckanlagen nicht den gewünschten Zweck erfüllen."
Und nun zur letzten Frage, wie das denn seiner Ansicht nach mit Talsperren in unseren Breitengraden gehalten werden sollte:

"Ja, da kann man mit "small is beautifaul" schon viel erreichen. Da kann man neben
Verbesserungen in Bezug auf Effizienzsteigerung auch noch viel Neues machen. Das gilt aber nur für Wasserkraft in Industrienationen.
Prinzipiell bräuchte es schon strengere Regulierung im Talsperrenbau, um jene "schwarzen Schafe", die immer und überall herumlaufen, zu zähmen. Hier gibt es bereits Ansätze, wie ja das Ilisu- Projekt in der Türkei gezeigt hat. Aber trotzdem: lupenreine Umweltstrategie ist das noch lange nicht. Das ist aber letztlich wohl Aufgabe der Politiker und nicht der Ingenieure.

In diesem Zusammenhang sind "anti-dam"-Interessengruppen von großer Bedeutung. Unserer Erfahrung nach gibt es etwa drei unterschiedliche Gruppierungen:
– Solche, die gegen jede Art von wirtschaftlicher Entwicklung sind. Sie sind stark politisch motiviert und nicht dialogfreundlich.
– Jene, deren Interesse, Talsperren zu bekämpfen aus rein opportunistischen Motiven resultiert. Sie sind korrumpierbar, 'Opfer' eines erfolgreichen Lobbying aus Industriekreisen – für die Wasserkraft einfach Konkurrenz bedeutet.
– Und schließlich jene wichtige Gruppe, die in der ehrlichen Absicht, Menschenrechte zu verteidigen, handeln und die es als ihre Pflicht ansehen, Talsperrenprojekten entgegenzutreten.
Sie haben zum Teil selbst unter Fehlern unseres Berufsstandes gelitten. Dies ist jene Gruppe, der man aufmerksam zuhören sollte, die man einbeziehen muss, und die - aufgrund ihrer relativen Objektivität gegenüber Talsperren - auch Interesse haben, Karl Poppers' "objective knowledge" zu akzeptieren. Diese Gruppe sollte sich ganz bewusst von den beiden anderen distanzieren!

Man hofft also, dass (wie auch anderswo im Leben) eine ausgeglichene, offene Einstellung, unter Akzeptanz belegbarer Fakten, einer emotionalen Scheuklappenmentatlität überlegen ist, - oder?"

Ich habe mich in letzter Zeit sehr mit der Arbeit von Dr.Wackernagel auseinandergesetzt und finde sein 'footprint-Projekt' (www.footprintnetwork.org/de/index.php/ ) äußerst interessant und ich hoffe, es wird für zukünftige Wasserbauprojekte eine Verbesserung in Bezug auf oeko-soziale Rahmenbedingungen bringen."

Ich dankte dem Experten und wünschte ihm viel Erfolg!

GastautorIn: Ilse Kleinschuster für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /