Hanfindustrie weltweit auf Expansionskurs

Weltweit wachsendes Interesse an Hanfrohstoffen aufgrund globaler Rohstoffengpässe - Hanffaserverstärkte Kunststoffe bei der Olympiade 2008 in China

Ende November 2006 trafen sich in Hürth im Rheinland (Deutschland) 90 Hanfexperten aus 23 Ländern und fünf Kontinenten, um sich über den aktuellen Stand und zukünftige Trends der weltweiten Hanfindustrie auszutauschen. Besondere Höhepunkte der Konferenz: Die vielfältigen industriellen Nutzungen von Hanf in China sowie das Interesse der Holzwerkstoffindustrie an Hanf als alternativem Rohstoff für Plattenwerkstoffe.

China: Zahlreiche Hanfanwendungen

Erik Shi vom chinesischen Hanfunternehmen Yunnan Industrial Hemp Inc. (Kunming City (China), www.yunnanhemp.com) berichtete von großen Zuwachsraten bei der chinesischen Hanfindustrie. Hanfsamen und –öl mit ihren mehrfach ungesättigten Fettsäuren finden Absatz in der Lebensmittelindustrie, die ebenso hochwertigen Hanfproteine dienen – wie heute vor allem schon in Nordamerika – als Kraftnahrung für Sportler. Hanffasern werden in der Papier- und Automobilindustrie (s.u.) eingesetzt, aber auch als Verstärkung von Kunststoffen für Fensterrahmen und Bodenbeläge für den Innen- und Außenbereich. Diese Produkte sollen auch bei der Olympiade 2008 in Peking im großen Stil zum Einsatz kommen. Darüber hinaus werden die Hanfschäben zu Leichtbauplatten verarbeitet, die als ‘Agroboards’ z.B. nach Südafrika exportiert werden.

Nordamerika: Erfolgsgeschichte Hanfsamen und –öl

In Nordamerika wird Hanf bislang vor allem für die Lebensmittelindustrie angebaut. Die kanadische Hanfwirtschaft kann dabei auf erfolgreiche Jahre zurückblicken und hat in 2006 erstmalig knapp 20.000 Hektar Hanf für die reine Samennutzung angebaut. Die Hanfsamen gehen dabei vor allem in die US-Lebensmittelindustrie. Die USA gehören zu den wenigen Ländern weltweit, in denen der Anbau von Nutzhanf immer noch verboten ist – zur Freude der kanadischen Farmer. Aktuell laufen in Kanada eine Reihe von Projekten, um auch die Hanffasern und –schäben einer Nutzung zuzuführen; dabei geht es u.a. um die Verstärkung von Polylactid (PLA) mit Hanffasern, um das Einsatzspektrum dieses Bio-Kunststoffes zu erweitern. Interesse kommt aber auch von der Spanplattenindustrie, die aufgrund von Engpässen beim Holz neue Rohstoffe sucht und konkret über größere Hanfprojekte nachdenkt.
Daniel Kruse von Hempro International (Düsseldorf (Deutschland), www.hempro.com) gab einen kompetenten Überblick über die weltweite Entwicklung der Hanflebensmittelindustrie. Europa liegt im Vergleich zu Nordamerika und China noch weit zurück – dennoch wächst auch in Europa der Markt für geschälte Hanfsamen und Hanföl. In Großbritannien haben Hanf-Müsliriegel sowie Hanföl bereits den Weg in die Supermärkte gefunden. In Deutschland erfolgt der Vertrieb noch primär über Internet und Hofläden.

Europa – Hanftextil-Projekte, Dämmstoff- und Automobilindustrie

In Europa finden sich aktuell eine Vielzahl von Aktivitäten, die eine Ausdehnung der momentan bescheidenen Anbauflächen von knapp 16.000 ha erwarten lassen. So berichtete Bengt Svennerstedt von der Swedish University of Agricultural Sciences (Alnarp (Schweden), www.jbt.slu.se) über Interesse der schwedischen Konzerne IKEA, Volvo und Saab an Hanffasern und -schäben.
Besondere Zuwachsraten finden sich in der Tschechischen Republik, wo der Hanfanbau erst in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde und heute bereits wieder über 1.000 ha umfasst. Interessant ist hier vor allem die Entwicklung neuer Ernte- und Aufschlusstechniken, die der Geschäftsführer von CANABIA (Hodonin (CZ), www.canabia.cz), Jaroslav Skoumal, auf der Konferenz vorstellte.

Hanftextilien

In Italien plant die Firma Gruppo Fibranova (Perinano (Italien), www.gruppofibranova.it) erhebliche Investitionen, um Hanffasern wieder in die italienische Textilindustrie einzuführen. Dabei sollen die Hanffasern mit Enzymen (Bio-Degumming) zu hochwertigen Langfasern (Preis: 2,5 bis 3 €/kg) aufgeschlossen und nass versponnen werden, wie Cesare Tofani, Geschäftsführer der Gruppo Fibranova und Vorstandsmitglied von EIHA, berichtete. Für die parallel anfallenden Kurzfasern werden technische Nutzungen anvisiert, wie z.B. die Verstärkung von Kunststoffen.
Auch ein anderes Projekt ist auf dem Weg, Hanf zurück in den Textilmarkt zu bringen. Ein deutsch-holländisches Projektteam untersucht in der Region ‘Euregio Rhein-Waal’ seit Jahren die textile Wertschöpfungskette vom Anbau bis zur Hanfjeans. Hier wird die Hanffaser mittels Dampfdruckaufschluss gewonnen, ein Verfahren, das bereits in den 80er Jahren am IAF in Reutlingen (Deutschland, www.iaf.fh-reutlingen.de) entwickelt wurde. Projektleiter Marcel Toonen von Plant Research International (Wageningen (NL), www.pri.wur.nl) ist überzeugt, dass in den nächsten Jahren die ersten Hanfjeans aus Deutschland bzw. Holland am Markt erhältlich sind – und dass zu Preisen, die nur geringfügig über denen anderer Markenjeans liegen.
Teilnehmer aus Australien wiesen darauf hin, dass auch sie dabei sind, Hanf-Textilien als Alternative zu Baumwolle-Textilien zu entwickeln.

Dämmstoff- und Automobilindustrie

Bernd Frank, deutscher Hanfpionier und Vorstandsmitglied von EIHA, stellte ausführlich sein Unternehmen Badische Naturfaseraufbereitung (BaFa) (Malsch (Deutschland), www.bafa-gmbh.de) vor. Gute Erfahrungen machte die BaFa mit der ersten neuen Hanfzüchtung aus den Niederlanden: Die Sorte Chamaeleon bringt gute Erträge und eine helle, gut entholzbare Faser. Hauptabsatzgebiete für seine Hanffasern sind die Dämmstoff- und Automobilindustrie, die Hanfschäben werden vor allem als Pferdeeinstreu vermarktet und die Hanfsamen gehen bisher vorwiegend in die Vogelzucht. Im ökologischen Bauen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien kommen zunehmend Bau- und Dämmstoffe aus Hanfschäben (meist Kalk-gebunden) und Faserdämmmatten zum Einsatz.
Über den Einsatz von Hanf- und anderen Naturfasern in der Automobilindustrie gaben Michael Karus, Geschäftsführer des nova-Instituts (Hürth (Deutschland), www.nova-institut.de) und von EIHA, und Dirk Fischer, vom weltweit führenden Maschinenbauer R+S Technik GmbH (Offenbach (Deutschland), www.rstechnik.de) für Naturfaser-Formpressteile, einen Überblick. In der deutschen Automobilproduktion wurden laut Karus im Jahr 2005 erstmalig 19.000 t Naturfasern eingesetzt, vor allem in Formpressteilen, aber auch in Spritzguss- und Fließpressteilen. Fischer zeigte eindrucksvoll, wie die in Deutschland entwickelte Technik des Naturfaser-Formpressens die Welt erobert. Sein Unternehmen lieferte in den letzten Jahren Anlagen in den Iran, nach Indien und China – aktuell starten etliche neue Projekte. In der neuen chinesischen Mittelklasse-Limousine Brilliance, die seit Dezember 2006 auch am deutschen Markt erhältlich ist, sind 80% der Innenteile auf Basis von Naturfaserwerkstoffen realisiert – ein neuer Rekord.

Papierindustrie
Die Hanfberater Pierre Bouloc und Francois Desanlis berichteten über zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Bezug auf neue Anwendungen von Hanf in Frankreich. Interessant sind vor allem Projekte, die Qualitätspapier aus der Ganzpflanze gewinnen wollen – ohne den kostenintensiven Umweg über eine vorgelagerte Entholzung. Die Papierindustrie zeigt aufgrund der steigenden Holzpreise erstmalig seit Jahrzehnten wieder Interesse am Hanf. Hanfzellstoff ist dabei aufgrund seiner längeren Fasern vor allem auch zur Auffrischung von Altpapier bestens geeignet.

Faseraufschluss

Weitere Projekte beschäftigen sich mit der Weiterentwicklung von Aufschlussverfahren; hier werden chemische und enzymatische Verfahren untersucht, oder auch der Weg der Hanf-Silage, der vor allem interessant ist, wenn man die Endprodukte direkt aus der nassen Silage herstellen kann. Eine solche Prozesskette zeigte Ralf Pecenka vom Institut für Agrartechnik (ATB) (Potsdam (Deutschland), www.atb-potsdam.de) für verschiedene Bauprodukte.
Um den Aufschluss weiter optimieren zu können, sind vor allem detaillierte Kenntnisse über die biologischen Klebstoffe zwischen den Fasern und Schäben erforderlich. Hier betreibt die University of Leeds (www.leeds.ac.uk) Grundlagenforschung, die auf dem Kongress von Tony Blake vorgestellt wurde.

Leichtbauplatten
Das neue ökonomische Interesse an Hanf beschränkt sich dabei nicht auf die Papierindustrie. Auch die Holzwerkstoffindustrie leidet unter den hohen Holzpreisen und verschlechterten Verfügbarkeiten – auch wegen der Nachfrage des Energiesektors nach Holz. Sie ist daher auf der Suche nach alternativen Rohstoffen. Verschiedene Unternehmen aus Kanada und Europa äußerten erstmalig seit Jahrzehnten konkretes Interesse an großflächigem Hanfanbau zur Produktion von Leichtbauplatten. Die Firma Kosche aus Much (Deutschland, www.kosche.de) bietet seit letztem Jahr als erstes Unternehmen Hanf-Leichtbauplatten an, die sich besonders für den Einsatz im LKW, Camping-Mobilen und Schiffbau eignen.

Neue Entwicklungen
Jörg Müssig vom Faserinstitut Bremen (FIBRE) (Deutschland, www.faserinstitut.de) stellte eine zukunftsträchtige Kombination in Theorie und Praxis vor: Naturfaserverstärkte Biokunststoffe. Insbesondere der Biokunststoff PLA, der kommerziell am Markt verfügbar ist, kann mit Hilfe von Hanf- und anderen Naturfasern in seinem Eigenschaftsprofil verbessert und gleichzeitig preislich attraktiver werden. Müssig zeigte eigene Versuche und Beispiele aus Japan, ein Kenaf-verstärktes PLA-Handygehäuse, sowie eines aus Deutschland, eine PLA-Hanffaser-Schmuckurne.
Frank Otremba von M-Base (Aachen (Deutschland), www.m-base.de), gab einen umfassenden Überblick über die Eigenschaften von Polypropylen-Naturfaser-Granulaten für Spritzguss-Anwendungen im Vergleich zu Talkum-gefülltem und Glasfaser-verstärktem PP sowie auch PC/ABS. Otremba zieht das Fazit: ‘Viele interessante Eigenschaften’, wie z.B. die hohe Formstabilität unter Druck und Temperatur.
Das holländische Unternehmen NPSP Composieten BV (Haarlem (NL), www.npsp.nl) produziert diverse Produkte im RTM-Verfahren (‘Resin Transfer Moulding’). Geschäftsführer Willem Böttger nennt seinen Werkstoff ‘Nabasco’, wenn die Verstärkung mit Naturfaservliesen erfolgt. Die Vliese stammen aus Deutschland, als Fasern kommen Hanf und Flachs zum Einsatz. Anwendungsbeispiele sind Wegweiser-Pilze für Fahrradwege, Gehäuse von Radaranlagen (Glasfasern stören die Radarstrahlen), Boote, Möbel und Lautsprecher. NPSP zeigt zum Schluss Wandelemente mit langen Hanffasern, bei denen die eingebetteten Fasern nicht nur für eine Verstärkung, sondern auch für einen 3D-Design-Effekt genutzt werden.

Rohstoffwende und Wettbewerb

Michael Karus, nova-Institut (Hürth (Deutschland), www.nova-institut.de), zeigte die Hintergründe des wachsenden Interesses am Hanf. Der Übergang von fossilen zu nachwachsenden Rohstoffen (‘Rohstoffwende’), den Karus an Hand einiger Beispiele zeigte (mehr unter www.rohstoffwende.de), führt zu einer Verknappung und Verteuerung von Biomasse und insbesondere von Holz. Das macht eine schnell wachsende, ertragreiche und mechanisch starke Pflanze wie Hanf für viele Branchen interessant: Kunststoff- und Verbundwerkstoff-, Automobil-, Möbel- und Bau-, Papier- und Textil-Industrie.

Der Ökonom Sven Ortmann, nova-Institut, präsentierte die Preisentwicklungen für Erdöl und Kunststoffe sowie konkurrierende Naturfasern auf dem Weltmarkt über die letzten Jahre. Überall findet man beachtliche Preissteigerungen. Europäische Naturfasern wie Flachs und Hanf werden zunehmend konkurrenzfähig – auch wenn sie in den nächsten fünf Jahren sicher noch auf gewisse EU-Beihilfen angewiesen sind.

Kyoto-Protokoll

Mireille Portmann aus Savigny Sur ORGE (Frankreich) zeigte in Hinsicht auf das Kyoto-Protokoll, wie Hanf zur Senkung der Treibhausgas-Emissionen beitragen kann. Das festgelegte Ziel ist eine Senkung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen um 5,2% bis 2012. Auf besonderes Interesse stieß das Projekt ‘Grow your house’ (‘Lass Dein Haus wachsen’), das in Südafrika läuft und der regionalen Bevölkerung eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht sowie gleichzeitig die CO2-Emissionen bis zu 90% reduziert. Hierbei geht es um Häuser, die nahezu vollständig aus Hanf gebaut werden (Bau- und Dämmstoffe).

Fazit
Die Stimmung auf der 4. EIHA-Konferenz unterschied sich erheblich von den Vorjahren. Man spürte die Wende auf den Rohstoffmärkten, die Engpässe und Preissteigerungen insbesondere beim Holz. Es gab erstmalig seit den 1990-er Jahren reales Interesse, eine wirkliche – wenn auch noch unverbindliche – Nachfrage nach großen Mengen Industriehanf für unterschiedliche Branchen. Man spürte ein neues Interesse an Hanf. Dies wurde auch an einer Vielzahl neuer Projekte und Investitionen, Ideen und Produkte sowie einer Reihe neuer Akteure sichtbar.

European Industrial Hemp Association (EIHA)

EIHA wurde Ende 2005 offiziell gegründet, weist aber schon jetzt 30 Mitglieder auf. Die meisten von ihnen kommen aus Europa, aber auch Unternehmen aus Australien, Kanada und China sind unter den Mitgliedern, da es noch keinen Weltverband gibt. Die Vorträge der Konferenz werden ab sofort nicht mehr auf CD-ROM bereitgestellt, sondern sind den Mitgliedern vorbehalten (Mitgliedsbeitrag ab 200 €/Jahr), die in einer großen internen Datenbank eine Vielzahl von Fachinformationen finden. Auf der Internetseite www.eiha.org finden Interessierte einen Übersichtsvortrag mit aktuellen Daten zur europäischen Hanfindustrie.

Autor: Dipl-Phys. Michael Karus
Geschäftsführer der European Industrial Hemp Association (EIHA)
und der nova-Institut GmbH, Veranstalter der Konferenz


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /