Nachwachsende Rohstoffe: viele Produktneuheiten

N-FibreBase-Kongress zeigte neue Möglichkeiten auf

Ende Juni kamen 80 Teilnehmer aus Industrie und Forschung zum 4. N-FibreBase-Kongress nach Hürth im Rheinland, um sich über neue Entwicklungen im Bereich der werkstofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu informieren. Die knapp zwanzig Referenten aus Deutschland, den Niederlanden, Großbritannien und Spanien zeigten etliche Produktneuheiten und sorgten für Diskussion. Zu den wichtigsten Neuheiten zählten die Start der kommerziellen Fertigung von hochwertigen PP-Naturfaser-Granulaten in den Niederlanden und die Markteinführung erster Naturfaser-Formpressteile mit Biokunststoffmatrix (PLA) in Deutschland.

Die Veranstalter nova-Institut, Hürth, Faserinstitut Bremen (FIBRE) und M-Base, Aachen, zeigten sich sehr zufrieden mit dem Verlauf und den Ergebnissen des Kongresses. Eine CD-ROM mit allen Präsentationen wird im September 2006 erscheinen und über die Seite www.n-fibrebase.net verfügbar sein.

Die wichtigsten Höhepunkte des Kongresses

Eröffnet wurde der Kongress von Frank Otremba, M-Base (www.m-base.de), Aachen, mit der Präsentation der ‘Road-Show Naturfaserverstärkte Kunststoffe", die das Projektteam aus nova-Institut, FIBRE, M-Base und SSP in diesem Jahr entwickelt und bei verschiedenen großen Unternehmen vorführte, um die neuen Werkstoffe in der Industrie bekannter zu machen. Das Vorhaben, finanziell unterstützt von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR), soll in Kürze fortgeführt werden.

Michael Karus, Geschäftsführer des nova-Instituts (www.nova-institut.de/nr), führte den Begriff ‘Rohstoffwende" (www.rohstoffwende.de) ein - die Suche der Industrie nach Erdöl-unabhängigen Rohstoffen hat begonnen. Laut Karus befinden sich die weltweiten Industrien bereits mitten in einer Rohstoffwende hin zu nachwachsenden Rohstoffen. Er belegte dies mit einer Reihe von globalen Markt- und Preisentwicklungen sowie anhand der Beispiele Stärke und Zucker als neue Rohstoffe für die industrielle Biotechnologie, das Comeback der Jute im asiatischen Verpackungsbereich und des Naturkautschuks. Letzterer konnte den synthetischen Kautschuken in den vergangenen Jahren bereits wieder so viele Marktanteile abjagen, als habe man die Uhr auf das Jahr 1964 zurück gedreht! Auch Autositze aus Kokosfasern und Naturlatex sind nicht nur technisch den PUR-Schäumen überlegen, sondern inzwischen auch preislich wieder konkurrenzfähig.
‘Die Rohstoffwende vollzieht sich weltweit unaufhaltsam - und wir sind bereits mitten drin. Hunderte Produktlinien wurden bereits von fossilen auf nachwachsende Rohstoffe umgestellt und Tausende werden noch folgen. Die Ausgaben in Forschung & Entwicklung zahlen sich nun aus: Viele Werkstoffe, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurden, sind plötzlich auch ökonomisch interessant. Aber: Ob aufgrund knapper werdender Erdölvorräte oder Flächenengpässen im Agrarbereich- die Rohstoffe werden insgesamt knapp und teuer bleiben, ihr Angebot wird nur schwer mit der weiter wachsenden Nachfrage standhalten können."

Interessant sind die neuen Entwicklungen im Bereich Biokunststoffe. Dr. Jörg Müssig, FIBRE (www.faserinstitut.de), gab einen umfassenden Überblick zum aktuellen Entwicklungsstand im Bereich der Biopolymere. Besonders gute Aussichten werden Polylactiden (PLA) auf Glucosebasis aus Stärke bescheinigt, wenn es gelingt, PLA entsprechend konkreter Materialanforderungen zu modifizieren. Während PLA bislang vor allem im Verpackungsbereich mit seiner schnellen biologischen Abbaubarkeit punktet, zielen die Produzenten nun auch auf langlebigere Produkte, nachdem der Preisunterschied zum Polypropylen (PP) weiter geschrumpft ist.
Müssig stellte ein japanisches Handygehäuse aus PLA und Kenaffasern vor, das bereits in Serie produziert wird. Im eigenen Labor untersuchte er den Einsatz von PLA anstelle von PP beim Naturfaser(NF)-Formpressen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen und ein Einsatz im automobilen Innenraum könnte in nicht allzu ferner Zukunft Realität werden. Als Weltneuheit konnte Müssig eine Schmuckurne aus PLA und Hanffasern im Formpressverfahren präsentieren, welche die Firma Jakob Winter GmbH (s.u.) für die Firma Frenzel GmbH produziert.
Biokunststoffe in speziellen Anwendungen war auch das Thema von Carmen Michels, Fraunhofer-Institut UMSICHT (www.umsicht.fhg.de), Willich, die bereits für unterschiedliche Unternehmen spezifische Biopolymere entwickelt hat. Dr. Thomas Kripp, Wella Service GmbH, Darmstadt, entführte die Teilnehmer in die wundersame Welt des Krabbenpolymers Chitosan - ohne dass allerdings bislang eine marktrelevante Anwendung gefunden werden konnte.
Christopher Straeter von der Forschungsgemeinschaft Biologisch Abbaubare Werkstoffe (FBAW, fbaw.itg.uni-hannover.de), Hannover, stellte zahlreiche neue Produkte aus dem Bereich Gartenbau und Landwirtschaft vor. Insbesondere Pflanztöpfe und Mulchfolien werden immer häufiger aus abbaubaren Biokunststoffen hergestellt. Seit kurzem drängen hier verschiedene neue Anbieter auf den Markt.

Martin Snijder, Geschäftsführer der frisch gegründeten holländischen Firma GreenGran Ltd. (www.greengran.com), Wageningen, überraschte die Teilnehmer mit der Ankündigung, dass die PP-NF-Granulate, die über viele Jahre in Wageningen entwickelt wurden und bei verschiedenen Rundtests der letzten Jahre sehr gut abgeschnitten hatten, nun kommerziell produziert werden. Sowohl die Granulate als auch die Produktionslizenzen seien ab Spätsommer 2006 verfügbar. Snijder erwartet eine große Nachfrage aus der Industrie, da die PP-NF-Granulate in ihren mechanischen Eigenschaften bis an glasfaserverstärkte Polypropylene heranreichen und bis zu Naturfaseranteilen von 70% (!) spritzfähig seien. Auch die Substitution von PC/ABS sei in einigen Anwendungen möglich.

Dr. Erwin Baur und Frank Otremba von M-Base, Aachen, beschäftigen sich seit Jahren mit den Werkstoffdaten von naturfaserverstärkten Kunststoffen (NFK) und betreiben die erste Werkstoffdatenbank für NFK unter www.n-fibrebase.net. Baur stellte ein Projekt vor, in dem erstmalig Konstruktionsrichtlinien für die neuen Werkstoffe entwickelt werden sollen, damit die Verarbeitung der neuen Werkstoffe nicht länger das ‘Geheimwissen" weniger Produzenten bleibe, sondern allgemein zugänglich würde. Hierdurch könnten sich die Anwendungspalette und die Zahl der Produzenten deutlich erweitern.
Otremba ging explizit auf einige exzellente Eigenschaften der NFK-Materialien ein, die vielen nicht wirklich bewusst sind. PP-NF-Spritzgussmaterialien weisen eine sehr geringe Schwindung (im Prozess), einen ebenso geringen Verzug (im Einsatz) als auch sehr gute Temperatureigenschaften auf. In Bezug auf Schwindung und Verzug seien die Materialien sogar besser als glasfaserverstärkte Polypropylene und aufgrund dieser Eigenschaften als Ersatz von PC/ABS geeignet. Letzteres sei teurer, weise keine guten Verarbeitungseigenschaften und das unbeliebte Kontaktquietschen auf. Kommt es jedoch vor allem auf die Schlagzähigkeit an, sind die PP-NF-Materialien noch im Hintertreffen.

Es ist eine absolute Seltenheit, Joachim Winter, Geschäftsführer der Firma Jakob Winter (www.jakob-winter.de), Satzung, auf einem Kongress zu erleben. Dabei gehört das deutsche Traditionsunternehmen, das sich selbst zu den ‘führenden europäischen Herstellern für Spezialkoffer" zählt, zu den innovativsten Unternehmen im Bereich NFK. Seit zehn Jahren baut Winter in der Produktlinie ‘GreenLinE" Spezialkoffer aus mehrlagigen Naturfaserfilzen und Polypropylen im Formpressverfahren. Ständig werden die Eigenschaften weiterentwickelt und die Anwendungen ausgedehnt - aktuell die bereits erwähnte PLA-Hanf-Schmuckurne.
Winter kann Dank geringer Werkzeugkosten - die Werkzeuge werden im eigenen Haus hergestellt - auch in Kleinserien zwischen 100 und 1.000 Stück rentabel produzieren. Dieses Jahr werden ca. 20.000 Koffer in NF-Formpresstechnik das Werk verlassen, vor allem Koffer für hochwertige Musikinstrumente.
Als Gründe für den Einsatz der Naturfasern nennt Winter: Gute mechanische Eigenschaften, geringe Dichte, Kleinserien möglich, wertvolle Oberfläche und schließlich der Wunsch der Kunden nach ökologischen Produkten.

Hans-Bernhard von Buttlar, IGLU (www.iglu-goettingen.de), Göttingen stellte den krönenden Abschluss des Projektes ‘SMC auf der Basis nachwachsender Rohstoffe" vor. Das aus einem duroplastischen Harzsystem auf Pflanzenölbasis (PTP) und mit Hanffasern verstärkte SMC-Bauteil hat seine Funktionsprüfungen bestanden und wird nun im rauen Tagesbetrieb der Braunschweiger Verkehrsbetriebe an einem MAN-Bus als Außenbauteil (‘Mittelstoßfänger") getestet - spätere Serienproduktion nicht ausgeschlossen.

Nach dem Themenblock NFK referierte Sven Ortmann vom nova-Institut (www.nova-institut.de/nr) über die Preisentwicklungen bei Erdöl, Massen- und Spezialkunststoffen sowie Naturfasern in den letzten Jahren. Seit den gestiegenen Ölpreisen interessieren sich viele Unternehmen für diese Fragen und wenden sich an die Marktforscher des nova-Instituts. Ortmann: ‘Es ist nicht allein die Verdopplung des Erdölpreises seit 1999, sondern auch die Unberechenbarkeit seiner Entwicklung, die die Verarbeiter nach Alternativen Ausschau halten lässt."
Auch wenn sich auf den globalen Märkten die Naturfaserpreise aufgrund starker Nachfrage nach oben bewegt haben, so sind Erdöl-basierte Werkstoffe und auch Glasfasern etwa zehnmal so abhängig vom Erdölpreis wie Naturfasern. Mittel- bis langfristig werden daher Naturfasern eine immer interessantere Option zur Verstärkung von Kunststoffen.

Themenblock ‘Wood-Plastic-Composites (WPC)"

Brian Hackwell von der Hackwell Group (www.woodplasticcomposites.org) aus Großbritannien stellte auf dem Kongress erstmalig seine neue WPC-Marktstudie vor. Auch wenn sich das Marktvolumen in Europa nicht ganz so schnell entwickelt habe wie erwartet, so stünden derzeit alle Zeichen auf weiteres Wachstum, insbesondere da seit letztem Jahr erstmalig auch große Unternehmen wie IKEA auf den WPC-Zug aufgesprungen seien.
Was so alles im Bereich WPC & Möbelbau möglich ist, zeigte Christian Gahle von der RWTH Aachen und dem nova-Institut. In seinem reich bebilderten Vortrag zeigte Gahle, welche Möbel schon heute aus WPC gefertigt werden - Stühle, Sessel, Büroschränke, Regalsysteme - und welche Möglichkeiten das Material in diesem Bereich noch bietet. Gerade die freie Formbarkeit und Witterungsbeständigkeit des Werkstoffs bieten zahlreiche Möglichkeiten für den Innen- und Außenbereich. Hierzu hat Gahle mit seinen Studenten etliche Modelle gefertigt und auf der letzten Hannovermesse ausgestellt. Das Interesse der Möbelbranche war groß.
Um einen WPC-Sessel, der im Rotationsguss produziert und am Markt angeboten wird, ging es im Vortrag von Dr. Hans Korte, Innovationsberatung Holz & Fasern, Wismar. Korte verwendet dieses Verfahren weltweit erstmals für das WPC-Material: Allein durch die Rotation um zwei Achsen wird die WPC-Schmelze in einer erhitzten Metallform verdichtungsfrei zu einem Hohlkörper mit annähernd gleichmäßiger Wandstärke verarbeitet. Dadurch erhält man Produkte in bisher nicht realisierbaren Formen und Größen. Besonders interessant ist die geringe Dichte von 0,4 bis 0,5 g/cm3 - gegenüber Dichten von über 1,0 g/cm3 bei den stark verdichtenden Verfahren wie Spritzguss oder Extrusion. Als Herausforderung in diesem Prozess führte Korte die Sinterfähigkeit der Holzpartikel und die Herauslösung des fertigen Teils aus der Form an: ‘WPC schrumpft so gut wie nicht".
Christian Brueck, Mitglied der Geschäftsführung eines der größten WPC-Produzenten in Deutschland, der KOSCHE Unternehmensgruppe (www.kosche.de), Much, sprach über die technischen Eigenschaften von WPC, neuen Anwendungen und dem Stand der Markteinführung. Das Hauptvolumen des WPC-Geschäftes stelle immer noch der Bereich der Terrassen-Deckings dar. Insgesamt werde KOSCHE im Jahr 2006 etwa die fünffache Menge WPC produzieren wie im Vorjahr. WPC-Produkte würden aufgrund der stark steigenden Holzpreise (Nachfrage aus dem Energiebereich!) zunehmend konkurrenzfähiger, da sie ohne jegliche Abfälle produziert werden könnten. Klassische Holzwerkstoffe hätten in der Produktion bis zu 40% Verluste, was sich bereits negativ auf den Preis der klassischen Endprodukte niederschlägt. Bislang liegt der Anteil der WPC-Produktion bei KOSCHE unter 5%, das Unternehmen geht aber von einem zukünftig weiter wachsenden Anteil aus.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /