AKW-Unfall Tschernobyl - 20 Jahre danach

Folgenschwerste Katastrophe in der Geschichte der Atomindustrie darf nicht in Vergessenheit geraten - Rückblick auf Veranstaltung der Wiener Umweltanwaltschaft

Das verheerende Unglück von Tschernobyl jährt sich heuer zum 20. Mal. Daher lud die Wiener Umweltanwaltschaft (WUA) in ihrer Funktion als Atomschutzbeauftragte für Wien, gemeinsam mit dem Österreichischen Ökologie-Institut, ins Technische Museum ein. Eine "ExpertInnen-Runde" zum Thema "20 Jahre nach Tschernobyl" über den Unfallhergang, gesundheitliche Folgen und die notwendige Umstellung der Energiepolitik.

Prof. Dr. Wolfgang Kromp vom Institut für Risikoforschung sprach über den Hergang des Unfalls, die technischen Ursachen und Hypothesen sowie den Fallout über Europa. Der Münchner Strahlenmediziner Dr. Edmund Lengfelder wies in seinem Vortrag darauf hin, dass die gesundheitlichen Folgen nach wie vor von der IAEO (International Atomic Energy Agency) und anderen internationalen Organisationen heruntergespielt werden und gab Einblick in die Kranken- und Krebsstatistiken der betroffenen Gebiete. Im Speziellen ging der renommierte Mediziner auf die Schilddrüsenkrebs-Statistik ein. In Weißrussland hat die Summe der jährlichen Neuerkrankungen von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahre) von 1986 bis 1998 um das 58-fache gegenüber den Vorjahren zugenommen. So sind bis heute 1400 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen aufgetreten.

Der Energiewissenschafter Dr. Hans-Joachim Ziesing vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung führte aus, wie eine Energiepolitik ohne Atomkraft machbar ist. In Deutschland sorgt das Erneuerbare -Energie- Einspeisegesetz dafür, dass erneuerbare Energien im Vormarsch sind. Ziesing wies mehrmals darauf hin, dass ein Mix aus unterschiedlichen erneuerbaren Energieformen und eine erhebliche Erhöhung der Energieeffizienz eine 100-prozentige Versorgung ohne Atomkraft leicht ermöglicht.

Podiumsdiskussion - Strategien einer nachhaltigen Energiepolitik

Dr. Petra Seibert vom Institut für Meteorologie wies auf aktuelle Klimastatistiken hin, die zeigen, dass es längst "fünf nach zwölf" sei, und es somit notwendig sei, im Bereich der Energiepolitik dringend zu handeln.

DI Stephan Grausam vom Österreichischen Biomasseverband kritisierte, dass in Österreich, trotz ansteigender C02-Emissionen, der Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch kontinuierlich sinkt. Grund dafür ist der steigende Stromverbrauch insgesamt (etwa 40 % in den letzten 10 Jahren für Haushalte). Regenerative Energien haben, neben den ökologischen Vorteilen, auch viele positive Nebenwirkungen, z. B. geringe Transportwege, regionale Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Die Wiener Umweltanwältin Dr. Andrea Schnattinger ging auf die spezielle Situation in Wien ein. Kraftwärme-Koppelungen in kalorischen Kraftwerken und Müllverbrennungsanlagen erlauben eine Brennstoffausnutzung von bis zu 90 %. Dadurch können etwa 30 % aller Wiener Haushalte mit Fernwärme versorgt werden. Zusätzlich wurde ein Wasserkraftwerk zur Versorgung von etwa 15.000 Haushalten errichtet. Die Stadt Wien bietet für Erneuerbare Energieanlagen attraktive Förderungen an. Die Wiener Umweltanwaltschaft initiierte bereits 3 EU-Projekte zur Bewusstseinsbildung für erneuerbare Energien - speziell für Jugendliche - in Wien und in der Slowakei.

Ing. Antonia Wenisch vom Ökologie-Institut wies in ihrem Statement darauf hin, dass Atomenergie zu teuer und nicht wettbewerbsfähig sei. Außerdem würden die Uranreserven bei gleich bleibendem Verbrauch max. noch 70 Jahre reichen. Die zahlreichen Neubauten von AKW, die nötig wären, um eine substantielle Reduktion der Treibhausgase zu erreichen, würden viel zu lange dauern und müssten durch Reaktoren auf Plutoniumbasis (Schnelle Brüter) und Wiederaufbereitung ergänzt werden. Das würde nicht nur das Unfallrisiko erhöhen, sondern auch das Risiko, dass radioaktives Material unkontrolliert gehandelt wird.
Daher ist es der absolut falsche Weg, auf diese Technologie zu setzen.

Prof. Dr. Hans-Holger Rogner, der Vertreter der IAEA, hob bewusst die Argumente für Atomindustrie im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung hervor wie zum Beispiel: geringe Belastung durch Emissionen, Wirtschaftlichkeit, geringes Abfallvolumen, Energieversorgungssicherheit.

"Betrachten wir die bis heute bestürzenden Auswirkungen von Tschernobyl, ist es völlig unverständlich, dass Atomprogramme weltweit forciert werden. Dass mehr Mittel denn je in der EU für das Atomforschungsprogramm bereitgestellt werden, alternative Energieformen immer noch wenig Lobby in Brüssel haben und die Europäische Union weiter auf die Atomindustrie und deren Ausbau setzt, ist eine energiepolitische Sackgasse", betonte Dr. Andrea Schnattinger, die Wiener Umweltanwältin.


Mehr Informationen: http://www.wien.at/wua/atom/


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /