Wir haben jetzt die Wahl - die Lösungen sind da

Ein Auszug aus der Festrede, die Jakob von Uexküll, Founder and Chairman, The Right Livelihood Award, in Salzburg hielt

Als junger Journalist kam ich 1979 zu einer großen UNO-Konferenz in Österreich über Wissenschaft und Technologie für Entwicklung. Ich fand es sehr spannend, dass in den vorbereitenden Papieren recht fortschrittskritisch diskutiert wurde. Man bezweifelte, dass die Übertragung der westlichen Technologie und Wissenschaft auf die ganze Welt wirklich die Lösung sei. Aber in der Schlusserklärung war von dieser gesunden Skepsis nichts mehr übrig. Ich habe dann beim Schlussempfang den Generalsekretär der Konferenz gefragt, warum? Er antwortete: ‘The world is not ready for that yet’ – die Welt ist noch nicht so weit.

Sehr viele Menschen warten noch immer bis die Welt so weit ist

Right Livelihood Preisträger arbeiten daran, die Welt dahin zu bringen, bevor es zu spät ist. Denn unsere Macht ist beispiellos und daher auch unsere Verantwortung – sowohl für unser Handeln wie für unser Nichthandeln. Auf einem großen Wissenschaftskongress in Stockholm wurde letztes Jahr verkündet, dass jetzt eine neue geschichtliche Ära angebrochen ist, das anthropozene Zeitalter, in dem der Mensch die Natur beherrscht wie nie zuvor, von den Blauphasen des Lebens bis zum Klima.

Das Problem ist, dass diese beispiellose Machtergreifung verbunden ist mit dem Sieg einer individualistisch-autistischen Ideologie, die Egoismus und Habgier feiert. In jeder früheren Zivilisation waren das Eigenschaften, die nur in Notsituationen geduldet waren.

Die Arbeiten unserer Preisträger sind als Projekte der Hoffnung bekannt, weil sie zeigen, dass Lösungen für viele globale Herausforderungen existieren. Warum aber werden diese nicht – oder nur viel zu langsam und zögerlich – umgesetzt? Warum wächst dieses Umsetzungsdefizit, obwohl die Dringlichkeit einer grundlegenden Wende immer offensichtlicher wird?

Der Hauptgrund ist psychologischer Natur

Wir sind Gefangene einer eindimensionalen Fortschrittsideologie, die mit fundamentalistischem Eifer Alternativen blockiert. Sie behauptet, wissenschaftlich fundiert zu sein, aber in Wirklichkeit benutzt sie die Wissenschaften sehr selektiv, um ihre Dogmen zu untermauern.

Vor einigen Jahren fragte die US-Regierung den renommierten Bio-Semiotiker Prof. Thomas Sebeok, ob er eine Zeichensprache entwickeln könnte für die Lagerstätten atomarer Abfälle, mit deren Hilfe man den Menschen noch nach Zehntausenden von Jahren vor der dortigen Gefahr waren könnte. Sebeok hielt dies nicht für möglich und empfahl statt dem die Einrichtung einer erblichen ‘Priesterschaft’ zur Bewachung dieser Anlagen. Man merke: Wenn Wissenschaftler die Folgen ihrer Entscheidungen verantworten müssen, dann rufen sie nach Priestern. Oder wie der Vater der britischen Konsumgesellschaft, Premierminister Macmillan, es ausdrückte: ‘Wer Moral will, soll zum Erzbischof gehen!’

Der große Historiker der menschlichen Zivilisation, Arnold Toynbee, hat viele untergegangene Gesellschaften untersucht und festgestellt, dass der auslösende Moment der Verlust der Glaubwürdigkeit der Eliten war.

Wie sollen die heutigen Herausforderungen von Institutionen bewältigt werden, die in regelmäßigen Umfragen nur von den wenigen Prozenten der Bevölkerung als vertrauenswürdigen angesehen werden?

Es wird heute nach einer neuen Ethik gerufen, aber wo soll diese plötzlich herkommen? Viele Untersuchungen zeigen, dass es weltweit quer durch Kulturen, Religionen und sozialen Schichten einen breiten Konsens über menschliche Werte und Werte-Prioritäten gibt. Wir wollen alle unseren Kindern eine bessere und keine schlechtere Welt überlassen. Wir wollen respektiert werden und vertrauen können. Das Gebot der Reziprozität findet sich in allen Religionen.
Wir sind potenziell sowohl Teufel wie Engel. Die entscheidende Frage ist aber, welche Eigenschaften von der Gesellschaft honoriert und bestätigt werden. Nur unsere moderne Konsumgesellschaft erwartet, dass wir unsere Bedürfnisse nach Ritualen und Erfüllung durch Konsum befriedigen. Nur in dieser Gesellschaft ist es möglich, dass der Regierungschef seine Bürger auffordert, etwas für ihr Land zu tun, indem sie noch mehr konsumieren, wie kürzlich in Deutschland.

Die Stimme unserer Werte als Bürger und Menschen wird heute immer mehr durch den Lärm der Konsum-Propaganda übertönt und eingeschüchtert, und dieses schon bei Vorschulkindern. Das Ergebnis ist eine Kultur der permanenten Unzufriedenheit, Unreife und Verantwortungslosigkeit. Hätten unsere Vorfahren so gelebt, so wären wir nicht hier, sondern längst ausgestorben.

Wo ist die Stimme der Verantwortung ?

Gustavo Esteva, ein hoher UN-Beamter, der nach seiner Pensionierung unter den Armen in Mexico City lebt, berichtet, wie Menschen, die dort wirtschaftlich erfolgreich waren, in die Villen-Vorstädte der Reichen umzogen, um ihren Reichtum zu genießen, weil unter den Armen erwartet wurde, dass sie diesen teilten. Aber viele kamen wieder zurück, weil ihnen der menschliche und soziale Reichtum ihrer alten Welt zu sehr fehlte und ihnen mehr bedeutete als die Möglichkeit, mehr zu konsumieren.

Für die meisten Menschen gibt es andere Prioritäten als eine möglichst große Auswahl von Konsumgütern. Aber wo ist die Stimme dieser Prioritäten? Wo ist in der derzeitigen Reform-Diskussion die Stimme unserer Verantwortung für unsere Um- und Nachwelt? Wo ist die Stimme der Kinder und zukünftiger Generationen?
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Die derzeitige Politik, ist an ihre Grenzen gestoßen

Was nützen demokratische Reformen und Institutionen, wenn sie nur noch Ohnmacht demokratisieren, weil alle wichtigen Beschlüsse woanders gefasst werden? Wir feiern die Demokratisierung in Afrika, Asien, usw., aber die dortigen Parlamentarier klagen, sie hätten kaum noch etwas zu entscheiden. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung, weil Politiker, die keine Alternativen bieten, sich nur noch mit dem Schüren von Misstrauen und Hass und der Suche nach Sündenböcken profilieren können, wie wir es vor kurzem in Indien erlebten.

Wie können wir von einer demokratischen Welt reden, solange 35.000 Menschen täglich an Hunger sterben, obwohl nach UN-Berechnungen die globale Nahrungsmittelproduktion ausreichen würde, die 1,5fache Weltbevölkerung zu ernähren?

Es wird behauptet, das derzeitige System diene der Wirtschaft. Aber sind Unternehmer wirklich so dumm, dass sie die Basis menschlichen Wirtschaftens, nämlich das ökologische und soziale Grundkapital zerstören? Wollen sie wirklich, wie es der britische Milliardär Sir James Goldsmith ausdrückte, ‘auf der Titanic im Poker gewinnen?’ Ich glaube es nicht, denn kein Zukunftsprogramm bietet mehr unternehmerische Chancen als der dringend erforderliche zukunftsgerechte Umbau unserer Weltwirtschaftsordnung.

Wir müssen unser Produktionssystem ändern

Wir müssen z. B unser gesamtes Produktionssystem umbauen, zu einem System integrierter Kreisläufe. Wir müssen – und können – mit Hilfe der Natur (statt mit naiv-gefährlichen Gen-Experimenten) gesunde Nahrung für alle anbieten.

Wir brauchen eine Energiewende

Wir brauchen eine radikale Energiewende, die u. a. Reformen der Steuer- und Abschreibungsordnung erfordert. Wir müssen weg von absurden Vergleichen der Extraktionskosten, hin zu einer Öko-Bilanz als Entscheidungskriterium. Denn während die schon verbrauchten nicht-erneuerbaren Energien verloren sind, ist es bei den erneuerbaren genau umgekehrt: die ungenutzte Wind und Sonnenenergie von gestern ist für immer verloren. Können wir uns das noch länger leisten?

Wir haben jetzt die Wahl

Wir können uns gegenseitig umbringen im Kampf um immer knappere globale Ressourcen oder wir können mit den nötigen Strukturanpassungen bei uns anfangen. Zum Glück bewerten die meisten Menschen viele Ecksteine eines guten Lebens - wie Mitgefühl, Freundschaft, Gerechtigkeit, Teilnahme, eine saubere Umwelt, stabile Gemeinschaften, Kultur, Großzügigkeit und gute Arbeit – höher als eine möglichst große Auswahl an Konsumgütern.

Aber die reichsten Generationen, die je auf der Erde gelebt haben, lassen sich überzeugen, dass wir uns Eltern und Großeltern bald nicht mehr leisten können, denn die Renten sind zu teuer. Auch Kinder sind zu teuer, wie auch Mitmenschlichkeit. Daher müssen die so genannten ‘Schulden’ der Armen eingetrieben werden. Respekt vor dem Leben ist unbezahlbar. Von den 250 Millionen Tieren, die jedes Jahr in Europa aus wirtschaftlichen Gründen hin und her transportiert werden, kommen 25 Millionen tot an. Da der Umweltschutz immer teurer wird, können wir uns bald nicht mehr leisten, auf dieser Erde zu leben.

Gefangen in diesem ökonomischen Schwachsinn und ohne eine zusammenhängende Perspektive bestellen wir Expertenkommissionen. Die eine befindet, wir müssten das Rentenalter senken, um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die andere erklärt, wir müssten das Rentenalter erhöhen wegen der Kosten. Die eine macht sich große Sorgen über die zunehmende private Verschuldung. Die andere macht sich noch größere Sorgen darüber, was passiert, wenn die Menschen dem japanischen Beispiel folgen, sich nicht mehr verschulden, sondern ihren Konsum reduzieren. (Wenigstens ein Volk hält sich für reich genug, aber statt als Vorbild zu gelten, wird es als Bedrohung für die Weltwirtschaft beschimpft!) ‘Treffen sich diese Kommissionen nie?’, fragte ich eine deutsche Ministerin. ‘Natürlich nicht!’, lachte sie.

Wir haben das Wissen, die Arbeitskraft, die Technologien und die Ressourcen, die meisten globalen Probleme zu lösen.

Die Ecksteine für eine gerechte und zukunftsgerechte Weltordnung können in wenigen Jahren gelegt werden, wenn wir es nur wollen. Aber wir haben in den letzten Jahrzehnten viel Zeit verschwendet, und je länger wir warten, desto schwieriger wird der Übergang.

Die Lösungen sind da

Die Lösungen sind da’, hieß ein Film über die Right Livelihood Preisträger. Hier in Salzburg wollen wir in diesen Tagen beschließen, wie wir gemeinsam den Übergang zu diesen Lösungen erarbeiten, um das derzeitige Umsetzungsdefizit zu überwinden.

Die Warnungen vor der drohenden Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlagen sind jetzt auch in die Chefetagen eingedrungen. Schockiert von der Diskussion über Klimakatastrophen auf dem Davoser Weltwirtschaftsforum, sagte mir ein indischer Unternehmer: ‘Was für einen Sinn haben meine geschäftlichen und philanthropischen Aktivitäten, wenn der Monsunregen ausbleibt?’

Wir haben alle eine schwere Reise vor uns, aber den ersten Schritt können wir schon heute tun, nämlich heraustreten aus der uns zugewiesenen Rolle als einsame Verbraucher in einer fremden, gierigen, sinnlosen Welt. Denn wir sind viel mehr! Wir sind Teile einer lebendigen, intelligenten, sinnvollen und kreativen Welt. Wir müssen nur unsere Identität erweitern und uns wieder verbinden mit unserer Umwelt.

Jeder von uns steht jetzt an der Grenze, an der wir entscheiden können, ob wir Teil des Problems bleiben oder Teil der Lösung werden wollen. Die Right Livelihood Preisträger haben diese Grenze längst überschritten


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