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Forschung: Kurzkettige Fettsäuren als Schlüssel für ein langes Leben?

Jeder zweite Ältere leidet an einer chronischen Entzündung im Körper, ein Phänomen, das Mediziner "Inflamm-Aging" nennen.

Eine Hauptursache könnte neuen Studien zufolge das fehlende Gleichgewicht der Darmbakterien sein - und dieses lässt sich durch die gezielte Zufuhr von Ballaststoffen und kurzkettigen Fettsäuren positiv beeinflussen.

Seit Jahrhunderten sind Mediziner dem Schlüssel für ein langes Leben auf der Spur: Jetzt könnte die Wissenschaft dem Geheimnis des gesunden Altwerdens einen entscheidenden Schritt näher gekommen sein: Es könnte im Darm liegen. Forscher in verschiedenen Ländern wiesen in Studien nach, dass die Menge und Vielfalt der Darmbakterien einen entscheidenden Einfluss auf Infektanfälligkeit im Alter haben. Bei gesunden Senioren befinde sich bis zum 80. Lebensjahr die Darmflora im Gleichgewicht, sagt Professor Dr. Luzia Valentini von der Hochschule Neubrandenburg. Vieles spricht dafür, dass sich das Mikrobiom im Darm durch eine ballaststoffreiche Ernährung oder die gezielte Zufuhr kurzkettiger Fettsäuren positiv beeinflussen lässt.


Entzündungsaltern als Folge eines Darms im Ungleichgewicht
Wenn Menschen älter werden, altert auch ihr Immunsystem. Die Anfälligkeit für Krankheiten steigt dann, weil die Körperabwehr nicht mehr so gut funktioniert. Parallel kommt es nach den Worten der Neubrandenburger Wissenschaftlerin aber zu einer weiteren, langfristig deutlich dramatischen Folge der geschwächten "Polizei" des Organismus: einer chronischen Entzündung. Mediziner sprechen vom so genannten "Inflamm-Aging", zu Deutsch "Entzündungsaltern".

Dieses gilt als Ursache für eine Reihe altersassoziierter Erkrankungen wie beispielsweise Arthritis, Alzheimer, Arteriosklerose, Osteoporose und Diabetes mellitus. Von dieser permanenten Entzündung, die den Körper viel Kraft kostet und auf Dauer immer weiter schwächt, ist rund jeder zweite Senior betroffen. Messbar ist das zum Beispiel an erhöhten Werten des C-reaktiven Proteins (CRP) sowie an zu niedrigen Folsäure- und Vitamin-B12-Spiegeln. Diese Ungleichgewichte erhöhen unter anderem das Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko.

Einseitige Ernährung als Ursache für eine geschwächte Immunabwehr

Nach den Worten von Professor Valentini ist eine einseitige Ernährung mit wenigen Ballast- und Mikronährstoffen die Hauptursache für ungünstige Veränderungen im menschlichen Mikrobiom. In dem EU-Projekt "Ristomed" untersuchte die Neubrandenburger Professorin für klinische Diätetik und Ernährung und Direktorin des Instituts für evidenzbasierte Diätetik an der Hochschule Neubrandenburg gemeinsam mit Wissenschaftlern unter anderem von Universitäten in Rom, Bordeaux und Bologna, wie sich die Ernährung auf die Entzündungsneigung im Alter, das "Inflamm-Aging" auswirkt. An der Studie nahmen 125 Patienten zwischen 65 und 85 Jahren teil. Das Ergebnis: Nur in der Gruppe, die zusätzlich eine Mischung von Probiotika einnahm, verbesserten sich die zuvor negativ veränderten Werte. Probiotika bedeutet, dass lebende Bakterienkulturen in den Darm gelangen. Die Forscher sprechen von einem "immunmodellierenden Effekt".

Kurzkettige Fettsäuren: Schlüssel für Darmgesundheit, Immunsystem, Stoffwechsel nicht nur im Alter

Wie lässt sich das erklären? Mehrere Studien, unter anderem an der Universität in Melbourne, haben ans Licht gebracht, dass es zwischen dem Mikrobiom im Darm - der Zusammensetzung und Menge der Bakterienstämme - und dem Immunsystem einen direkten Zusammenhang gibt. Ballaststoffe dienen bestimmten Bakterien im Darm als Nahrungsquelle. Die Bakterien wiederum bilden daraus kurzkettige Fettsäuren. Der Schlüssel für eine gute Gesundheit, nicht nur, aber besonders im Alter, scheint die Fähigkeit der kurzkettigen Fettsäuren zu sein, die Darmflora gezielt positiv zu verändern und eine ungünstige Zusammensetzung der Darmbakterien zu korrigieren.

Kurzkettige Fettsäuren dienen nach dem aktuellen Stand der Forschung besonders denjenigen Darmbakterien als "Futter", die eine besondere Schutzfunktion für den Menschen haben: Sie können Entzündungen im Körper verhindern und vor einem Angriff des menschlichen Organismus auf körpereigene Zellen schützen. Dieser "falsche Alarm" der Körperabwehr ist nicht nur Ursache für "Inflamm-Aging", sondern in jedem Lebensalter Ursache für zahlreiche Auto-Immunerkrankungen wie etwa Multiple Sklerose, Schuppenflechte, Rheuma oder Allergien. Forscher an der Ruhr-Universität Bochum und an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen haben auch bereits nachgewiesen: Kurzkettige Fettsäuren regen im Körper die Produktion sogenannter regulatorischer T-Zellen an, die Entzündungen im Körper regulieren.

Eine wesentliche Erkenntnis der Forscher aus Melbourne fasst die "Pharmazeutische Zeitung" (18/2017) so zusammen: "Da die Ernährung über die Darmbakterien und deren Metabolite einen so großen Einfluss auf die Entstehung von inflammatorischen und Autoimmunerkrankungen hat, kann dieser Weg auch therapeutisch genutzt werden, entweder über die Aufnahme von Ballaststoffen (…) oder direkt von kurzkettigen Fettsäuren."

Gezielte Aufnahme kurzkettiger Fettsäuren kann potenziellen Mangel ausgleichen
Die ausreichende Verfügbarkeit von löslichen Ballaststoffen ist Voraussetzung dafür, dass dem Organismus genügend kurzkettige Fettsäuren zur Verfügung stehen. Bei vielen Mitteleuropäern hat die moderne, ballaststoffarme Ernährungsweise dazu geführt, dass die wichtigen schützenden Darmbakterien nicht in ausreichender Zahl vorkommen und nicht genug kurzkettige Fettsäuren von der Darmflora produziert werden.

Der Mangel lässt sich ausgleichen: Studien, bei denen unter anderem Propionat, das Salz der Propionsäure, zum Einsatz kommt, lassen den Schluss zu, dass auch die gezielte Einnahme kurzkettiger Fettsäuren hilft, die Darmflora positiv zu beeinflussen - und die angesprochene Schutzfunktion zu stärken. Auch Forscher des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIFE) in Potsdam-Rehbrücke haben nachgewiesen, dass die Zufuhr von so genannten kurzkettigen Fettsäuren ähnlich positive Effekte hat wie der Verzehr von Pflanzenfasern, ohne dass der Speiseplan dabei komplett umgestellt werden muss. In den Studien kommt dabei hochreines Natriumpropionat zum Einsatz, das unter dem Handelsnamen Propicum vertrieben wird.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /