© Robert Balog / Bergab fürs Auto
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"Gipfel der Dreistigkeit"

Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 4. August 2017. Von MAX STROZZI.

Innsbruck (OTS) - Der deutsche Dieselgipfel hat gezeigt: Autobauer und Politik halten an der Blendgranaten-Strategie fest, statt die illegal hohen Dieselabgase wirksam zu reduzieren. Dass es dabei um die Gesundheit geht, scheint man nicht verstehen zu wollen.

Ein Software-Update für betroffene Dieselautos um rund 100 Euro, dessen Wirksamkeit von Experten massiv angezweifelt wird – das ist es, was der deutsche Dieselgipfel aus Politik und Autoindustrie zustandegebracht hat, um den Stickoxid-Ausstoß zu verringern. Noch dazu ist das Update freiwillig. Offen bleibt damit nur noch die Frage, ob man ein solches Ergebnis als Alibi-Aktion, Showveranstaltung, Blendgranate, Heuchelei oder als Gipfel der Frechheit bezeichnen soll. Wäre es tatsächlich derart simpel, den Stickstoff-Ausstoß der betroffenen Dieselautos auf ein gesetzestaugliches Ausmaß zu reduzieren, hätte es dafür kein Gipfeltreffen benötigt. Autohersteller haben die tatsächlichen Abgaswerte ihrer Dieselautos manipuliert und den Menschen damit jahrelang und millionenfach saubere Autos vorgegaukelt. Tatsächlich aber blasen selbst viele neue Modelle ein Vielfaches der erlaubten Menge an giftigem Stickstoffoxid in die Luft. Selbst das nun beschlossene Software-Update reduziert die Werte bestenfalls um 30 Prozent. Auf der Straße bedeutet das Folgendes: Rund 900 Milligramm Stickstoffoxid pro Kilometer entweichen aus dem Auspuff eines durchschnittlichen Euro-5-Dieselautos, hat das Umweltbundesamt in Deutschland gemessen. Mit dem Software-Update würden es demnach noch knapp 600 sein. Erlaubt sind bei Euro-5-Pkw aber höchstens 180 Milligramm. Ähnlich sieht die Rechnung bei der bislang neuesten Generation Euro-6 aus: 500 Milligramm im Schnitt, minus ein Drittel ergeben 350 Milligramm – erlaubt sind hier 80 Milligramm. Mit ein bisschen Computer-Aufmotzen geht sich das Ganze irgendwie nicht aus. Ein nachträglicher Einbau einer wirksamen Abgasreinigung würde schon eher Abhilfe schaffen, wie aktuelle Automodelle beweisen. Das kostet die Konzerne statt 100 Euro knapp 1500 Euro je Auto. Dass Autobranche und Politik im ganzen Abgas-Desaster noch mehr zerstören können als bisher, hätte man vor dem Dieselgipfel kaum zu glauben gewagt. Es ist ihnen trotzdem geglückt. Das Software-Placebo hat aber den Eindruck bestätigt, dass es nicht darum ging, krank machende Abgase zu verringern, sondern Fahrverbote abzuwenden. Autobauer haben damit alle Glaubwürdigkeit verloren, der Beihelfer Politik als Kontrollorgan hat versagt. Solange diese PS-Koalition Placebos als Heilmittel verkauft und weiter Autos auf die Straßen lässt, die Abgasgrenzwerte um ein Vielfaches überschreiten, solange wird auch Tirol als Transit- und Urlaubsland ein Luftsanierungsgebiet bleiben. Da helfen alle Luft-100er nichts.


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /