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Vor 20 Jahren: Dritte Havarie im Atomkraftwerk Bohunice A1

Immer mehr Detials wurden in der Zwischenzeit bekannt

Vor 20 Jahren, am 12. Mai 1991, kam es im (damals) tschechoslowakischen Atomkraftwerk Bohunice A1 in der Folge von zwei Unfällen zu einer dritten Havarie mit Freisetzung von Radioaktivität. Inzwischen liegen brisante offizielle Dokumente und Zeugenaussagen über diesen Atomunfall vor. Demnach kam es zu erheblichen Kontaminationen in der Reaktorhalle und der Umgebung.

Die erste Havarie in dem 1972 in Betrieb gegangenen Druckröhrenreaktor ereignete sich am 5. Januar 1976 beim Brennelementwechsel. Nach dem Auswechseln eines Brennelementes löste sich dieses in der Druckröhre, schoss aus dem Reaktor hinauf in die Reaktorhalle und zerschellte an dem über dem Reaktor stehenden Kran. Es kam zur Kontamination der Reaktorhalle. Zwei Mitarbeiter starben.

Bei der zweiten Havarie am 22. Februar 1977 kam es zu einer partiellen Kernschmelze. Bei dem Unfall führten vergessene Reste des einer Verpackung beigefügten Trocknungsmittels Silicagel an einem Brennelement zu Verstopfungen, sodass das Kühlmittel nicht richtig durchströmen konnte und es zu einer lokalen Überhitzung kam. 1979 wurden die Versuche aufgegeben, die Folgen der Havarie zu beseitigen und den Atommeiler wieder in Betrieb zu nehmen.

Inzwischen wird offiziell zugegeben, das damals Radioaktivität auch in die Umgebung freigesetzt wurde: "Es kam zur Kontamination von Mitarbeitern im Bereich der Grenzwerte und zu radioaktiven Freisetzungen in die Umwelt", so Dusan Viktory vom Amt für öffentliche Gesundheit laut der slowakischen Tageszeitung SME (12.5.2008).

Die dritte Havarie

Zur dritten Havarie am 12. Mai 1991 im längst stillgelegten Atomkraftwerk Bohunice A1 kam es, als man versuchte, einen Teil der beschädigten Brennstäbe aus dem Reaktordruckgefäß zu holen.

Kurz nach dieser Havarie erhielt die Diplom-Ingenieurin Luba Kupke-Siposova von einem Beamten der tschechoslowakischen Atomaufsicht in Prag erste Informationen über den Unfall. Demnach ist bei dem Versuch, die so genannten manipulierbaren Brennstäbe aus dem Reaktorgefäß herauszuholen, der Verladekran in sich zusammengestürzt. Dadurch ist Kernmaterial außerhalb des Reaktorgefäßes in der Reaktorhalle heruntergestürzt. Es kam in der Halle, unterhalb der Reaktorhalle zu hohen Strahlenbelastungen als auch zur Kontamination des Grundwassers.

Später bestätigten und verdichteten sich für Frau Kupke-Siposova in Gesprächen mit zwei Mitarbeitern der damaligen Betreibergesellschaft SE a.s. diese Informationen. Im Laufe der kommenden Jahre erfuhr sie in zahlreichen weiteren Gesprächen mit Beschäftigten bzw. ehemaligen Beschäftigten von SE a.s. zahlreiche weitere Details der drei Havarie des Atomkraftwerks.

Offizielle Bestätigungen

Aufgrund der Geheimhaltungspolitik der Tschechoslowakei wie auch später in der Slowakischen Republik ist nur wenig über die dritte Havarie und über die radioaktiven Freisetzungen bekannt. Inzwischen gibt es aber klare Belege, die zeigen, dass es zu erheblichen Kontaminationen kam.

So sagte Frau Miroslava Pirozekova von der Aufsichtsbehörde UJD (Urad jadroveho dosoru) der Tageszeitung SME (12.5.2008): "Dieser Unfall führte zu einer großen Dosisbelastung für das Personal, das sich um die Beseitigung der Unfallfolgen bemüht hatte."

Schon zuvor war einer umfangreichen Studie im Auftrag des slowakischen Atomkonzerns SE a.s. vom 10. Juli 1997 andeutungsweise das Ausmaß der Kontamination des Reaktorgebäudes zu entnehmen. Aus der Studie mit dem Titel "Überführung des AKW A1 in einen strahlensicheren Zustand" ergibt sich, dass es 1991 bei einer Havarie zu einer erheblichen Kontamination der Reaktorhalle kam (Band 48, Hauptkapitel II, S. 39):

"Das Ziel des Projektes ist die Dekontamination der Reaktorhalle, wozu es 1991 bei einer Havarie mit Kernbrennstoff und Vorrichtungen kam. Die Dekontaminationsarbeiten sind unvermeidbar, um in der Reaktorhalle Arbeiten zu ermöglichen."

Mit den Dekontaminationen sollte es ermöglicht werden, Einrichtungen in der Reaktorhalle in Zwischenlager zu verbringen. Der Studie ist aber zu entnehmen, dass es nur völlig unzureichend gelang, die Halle zu dekontaminieren. Die geplante ferngesteuerte Dekontaminiation der am stärksten kontaminierten Bereiche unter der Reaktorhalle misslang vollständig (ebd.).

Von Henrik Paulitz, IPPNW


Quellen/Belege:

Studie "Überführung des AKW A1 in einen strahlensicheren Zustand" vom 10.7.1997. Im Auftrag von SE a.s. (slowakischer Stromkonzern). Ersteller der Studie: SLOVRAO (Verbund Slowakische Radioaktiver Abfall). Bericht-Nr. 96/97. Vorhaben im Sinne des Gesetzes Nr. 127/94. Die Studie umfasst mehrere Teile. Alle Seiten der Studie sind überschrieben mit: "Vorhaben - Radioaktiv sicherer Zustand des AKW A1". Band 48, Hauptkapitel II.

Aussagen der Diplom-Ingenieurin Luba Kupke-Siposova.
Slowakische Tageszeitung SME vom 12.5.2008.




Anhang) Bohunice A1-Studie im Wortlaut

Der Studie "Überführung des AKW A1 in einen strahlensicheren Zustand" vom 10.7.1997 sind bezüglich der dritten Havarie u.a. die nachfolgenden Informationen zu entnehmen (Übersetzung ins Deutsche von Luba Kupke-Siposova).



Kapitel 8. Skizzierung von technischen und technologischen Lösungen"

Kapitel 8.4.6 "Zwischenlager für radioaktive Abfälle", S. 39:

"Die für die Zwischenlagerung ausgewählten Räumlichkeiten müssen nach radioaktiven Belastungen bewertet, die technologischen Teile ausgebaut und die Dekontamination von Böden, Wänden und Decken durchgeführt werden."


Kapitel 8.4.7 "Reaktorhalle", S. 39-40:

"Das Ziel des Projektes ist die Dekontamination der Reaktorhalle, wozu es 1991 bei einer Havarie mit Kernbrennstoff und Vorrichtungen kam. Die Dekontaminationsarbeiten sind unvermeidbar, um in der Reaktorhalle Arbeiten zu ermöglichen. Beauftragt war die britische Firma AEA Technology. Die Arbeiten wurden bis Juni 1996 durchgeführt. Es handelt sich um eine sehr ernste und sehr große Aufgabe. Die Dekontamination der Reaktorhalle umfasst drei Bereiche:

- Standard-Dekontaminiation der Wände und der Böden der Reaktorhalle, der Maschinen und der Vorrichtungen in der Reaktorhalle

- Die geplante ferngesteuerte Dekontaminiation der am stärksten kontaminierten Vorrichtungen des Brennelementekrans und der am stärksten kontaminierten Umgebung wurden nicht zu Ende geführt

- Die ferngesteuerte Dekontaminiation der am stärksten kontaminierten Bereiche unter der Reaktorhalle ist nicht realisiert worden

Die Arbeiten waren durchgeführt unter einem Containment, um eine Verbreitung von Radioaktivität in der Halle zu verhindern. Das erzielte Niveau radioaktver Belastung ermöglicht zur Zeit, die notwendigsten Arbeiten in der Reaktorhalle durchzuführen, welche Vorbereitungen für die Auslagerung des abgebrannten Brennstoffs, Umlagerung des Chrompik etc. ermöglichen. Die Dekontaminationsarbeiten in der Halle werden weiter durchgeführt."


Kapitel 8.5 "Spezielle radioaktive Abfälle", S. 40:

"Das Vorhaben des Projekts ist es, auszuarbeiten, wie man bei der Behandlung verschiedener "unüblicher" radioaktiver Abfälle vorgehen kann, welche im AKW A1 während des Betriebs als auch während des Ausrangierens entstanden sind. Die Bearbeitung und die abschließende Behandlung dieser radioaktiven Abfälle soll die endgültige Lagerung in Lagerstätten für radioaktiven Abfall ermöglichen oder eine Zwischenlagerung in den Räumlichkeiten des AKW A1 ermöglichen."

Quelle; IPPNW,de


Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /