© Gerd Maier
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Godwin Schuster, Erster Vorsitzender des Wiener Gemeinderates

...und sein bürokratisches Verhältnis zu freiem Journalismus. Teil 2 der aktuellen Komet-Hochhaus-Recherche von Gerd Maier

Ein Sittenbild aus dem Wiener Rathaus

Do, 30. Oktober 2008: Gegen Ende einer bereits seit 12 Stunden tagenden Gemeinderatssitzung sollen die bis jetzt verbliebenen Abgeordneten auch noch die Flächenwidmung zum umstrittenen Komet-Hochhausprojekt in Meidling durchwinken.
Nicht nur die Absiedlung von alteingesessenen Mietern, auch die künftigen Staus und der Zuwachs an Lärm und Schadstoffen bewirken bei der Bevölkerung seit Jahren eine massive Ablehnung des Projekts.

Kurz vor dem Tagesordnungspunkt ‘Komet-Flächenwidmung’ spielt sich Folgendes ab:
Abseits einer Gruppe von Anrainern und Mitgliedern einer Bürgerinitiative sitzt der kritische Journalist H. - selbst als Anrainer vom Projekt unmittelbar betroffen - auf der Besuchergalerie. Misstrauisch werden sie von den Männern der Rathauswache beobachtet.
Zwischendurch wendet sich einer der Securityleute eher verstohlen an den Journalisten und will wissen, wer die Leute seien? Vielleicht gar eine Bürgerinitiative? ‘Fragen Sie die Leute doch einfach’, rät H. ungerührt.

„Spezialerlaubnis im Präsidium“

Als das Hochhausprojekt endlich an die Reihe kommt , will Journalist H. die Wortmeldungen und Reden der Abgeordneten mit einer Digicam aufnehmen. Umgehend erscheint der argwöhnische Galerie-Zerberus und fordert H. auf, den Saal zu verlassen. H. möge sich im Landtagspräsidium eine spezielle Bewilligung holen.

Im Präsidium ruft eine Sekretärin einen Beamten, der H.´s Ausweis überprüft und dann mitteilt, er könne nur eine Fotoerlaubnis, aber keine Erlaubnis für eine Tonaufnahme erteilen. Ich solle doch nachhause fahren, da die Sitzung im Internet übertragen werde. Daheim könne ich die Sitzung mitschneiden, hier jedoch sei es verboten. Eine Sondererlaubnis könne nur der Präsident persönlich erteilen.

H. verlangt nun nach dem Präsidenten und wird durch eine lange Flucht von Vorzimmern mit mehreren Sekretariatsangestellten geführt. Dahinter tut sich ein prunkvoller Raum auf, einem Audienzsaal gleich mit Teppichen und Gemälden. Dort wartet Gemeinderatsvorsitzender Godwin Schuster.

Godwin Schuster und die sinnentleerte Langatmigkeit

In freundlichem Ton erklärt Herr Schuster, auch er könne keine Tonmitschnittbewilligung für die Besuchergalerie ausstellen, H. müsse mittels Presseausweis einen neuen Antrag für die seitliche Journalistengalerie stellen. H., der soeben genau jene Wortmeldungen und Reden versäumt, derentwegen er eigentlich hier ist, möchte nun wissen, warum ein Tonmitschnitt auf der Besuchergalerie mit einer Digicam streng verboten sei, während ein Tonmitschnitt per Internet jedem gestattet ist. Das sei ein einstimmiger Beschluss aller Fraktionen, und den müsse man befolgen, sagt Godwin Schuster mit wichtigem Blick. Aber eine Bestimmung müsse doch einen Sinn haben, erwidert H. ratlos. Präsident Godwin Schuster antwortet sinngemäß mit ‘Vurschrift is Vurschrift’, allerdings in etwas gewählteren Worten.

Es müsse doch irgendeinen nachvollziehbaren Sinn für diese Regelung geben, versucht es der Journalist noch einmal – entgeistert von so viel Bürokratie. Das Betreiben von Aufnahmegeräten störe die Personen auf der Besuchergalerie, fabuliert Godwin Schuster. H. liefert den Gegenbeweis und demonstriert seine völlig lautlose Digicam. Godwin Schuster resigniert: ‘Ich weiß eh, dass die lautlos ist, ich hab auch so ein Gerät. Aber das ist halt Vorschrift.’

Hat Bürokratie eine Parteizugehörigkeit ?

H. erwähnt ähnliche bürokratische Missstände, die er selbst als Bezirksrat immer wieder erlebt hatte. ‘Bei welcher Partei waren Sie da’, will Godwin Schuster - nun plötzlich sehr interessiert - wissen. ‘Ist das maßgeblich? Ich wurde als Experte für Verkehr und Umwelt nominiert’, erwidert H. ‘Aber man muss doch von einer Partei …..’, wundert sich Schuster. Sachpolitik ohne Parteischeuklappen scheint für den Herrn Gemeinderatsvorsitzenden wohl ungewohnt und irgendwie suspekt.

Ein eifriger Securitymann befiehlt Abstand

H. geht wieder zurück auf die Besuchergalerie. Der Securitymann will ihm das Täschchen mit Wertsachen und Digicam wegnehmen. Das gebe er nicht in fremde Hände, da seien brisante Recherchen gespeichert, verweigert H. ‘Dann müssen Sie draussen bleiben’, knurrt das Wachpersonal. Nach einigem Diskutieren schlägt der Securitymann vor, H. solle sich fünf Sitze von seiner Tasche entfernt hinsetzen, damit sein Arm nicht nach der Digicam greifen könne.
H. fragt nun den ulkigen Aufpasser belustigt nach dessen Namen. Antwort: ‘Ich tue nur meine Pflicht.’ H. setzt sich fünf Sitze von der Tasche entfernt hin. Der Wachmann bleibt soldatisch und pflichtgetreu neben der Tasche stehen.

Als Fazit bleibt ein beunruhigendes Bild des Wiener Gemeinderates: Obrigkeitsdenken, eine ‘Vurschrift is Vurschrift’- Mentalität und eine hölzerne Bürokratie. Was fehlt, ist eine kompetente und lebendige Diskussion über die Gestaltung Wiens, über Stadtplanung, Verkehr, Umwelt und Lebensqualität, und eine flexible und bürgerfreundliche Administration, die es nicht notwendig hat, sich hinter obskuren Bestimmungen zu verstecken.



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Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /