Wiener Kontrollore...

„Wenn Sie mich zitieren, dann werden Sie schon noch sehen...!“ Wie Angestellte der Wiener Linien Obdachlose vertreiben und Fahrgäste belästigen

Winter 2005, U1-Station Vorgartenstrasse: Schneetreiben und Wind, es ist eiskalt. Ein Obdachloser hat sich beim Stationszugang in ein Eck gedrückt, um sich ein wenig aufzuwärmen. Nicht ein aufdringlicher ‘biiiiiite, daaaaanke, alles Guuuute’-Bettler mit weinerlicher Stimme, sondern ein stiller, frierender Obdachloser. Zwei Angestellte der Wiener Linien, junge Frauen, kommen und fordern den Mann mehr oder weniger höflich auf, zu verschwinden. Ich stelle die beiden Angestellten zur Rede, warum sie das tun. Sie entschuldigen sich mit den Worten, sie müssten das tun, da der Obdachlose den Fahrgastfluss hemme. Absurd, so ein Blödsinn. In dem Eck geht kaum jemand vorbei, niemand wird am Durchgang gehindert. Die beiden Bediensteten sehen das ein, meinen schulterzuckend, natürlich sei die Regelung ein Blödsinn, aber sie hätten nun einmal die Vorschrift, den Obdachlosen höflich ins Freie hinauszukomplimentieren. Aha. Also sozusagen Vurschrift is Vurschrift. Damit der virtuelle Fahrgastfluss nicht gestört wird, soll der Obdachlose frieren. Vielleicht sollen die reichen Adventeinkäufer mit den vollen Einkaufstaschen auch nicht daran erinnert werden, dass es Leute am Existenzminimum in unserer Stadt gibt. Das ist halt die kalte und herzlose Seite der Wiener Linien.

Nun ein Szenenwechsel. 5. September 2007, 21 Uhr, Zwischengeschoß Karlsplatz zwischen der U4 und der U1. Draußen regnet es in Strömen, durchnässte Leute eilen durch den langen Gang, um noch die nächste U-Bahn zu erwischen, da nur etwa alle 8 Minuten ein Zug kommt. Zuweilen sogar noch seltener. Mitten im Gang eine dichte Kette von gelbuniformierten Angestellten der Wiener Linien. Höflich werde ich aufgefordert, in meinem Rucksack nach der Geldbörse zu kramen, um meine Jahreskarte zu suchen. Da ist sicher die nächste U1 weg, und ich muss, wie schon bei der U4, wieder 8 Minuten warten. Genervt zeige ich die Jahreskarte und fordere ich den Beamten auf, die Kontrollen doch wie früher im Zug durchzuführen. ‘Des entscheiden nicht wir, des entscheidet der Chef’, sagt der recht freundliche Beamte mit der Dienstnummer 76006. Ich will den Chef per Handy sprechen, erfahre aber ‘Der schlaft schon!’ Kann ich ihn morgen kontaktieren? ‘Ja, das is der Grois.’ Aha, der Chef der Wiener Linien, Dipl. Ing. Günther Grois, bestimmt persönlich, dass sich hier eine Menschentraube bildet, die sich vor der Menschenkette der Kontrollore staut?? Da fällt mir wieder die Geschichte von der ‘Störung des Fahrgastflusses’ ein. Als ich um die Klappe von Grois bitte, sagt mir 76006, ich solle halt die Beschwerdestelle anrufen. Ha ha, sehr lustig. Dort landet meine Beschwerde jedenfalls im Papierkorb. Inzwischen wird die Menschentraube hinter der Kette der Kontrollore immer größer, Menschen suchen in den Taschen nach Fahrscheinen, versäumen die nächste U-Bahn.

Dann kommt ein grimmig dreinblickender, etwas untersetzter, stämmiger Mann in Zivil und fragt nach meinem Begehr. 76006 zeigt auf ihn und sagt: ‘Das ist auch der Chef.’ Aha. Ich erkläre ihm den Sachverhalt, doch ihm ist die Sache offensichtlich wurscht. In barschem Ton erklärt er: ‘Des bestimmen immer noch wir selber, wo und wie wir kontrollieren. Wenn Ihnen das net passt, is des Ihr Problem.’ Ich erkläre ihm, dass eine Kontrolle im Zug sinnvoller ist, da der Stau hinter der Menschenkette die Leute nervt und bei den 8-Minuten-Intervallen jede Verzögerung ärgerlich ist. Treuherzig sagt er: ‘Die Leute freuen sich ja, wenn sie kontrolliert werden, damit die Schwarzfahrer erwischt werden.’ So so, sie freuen sich? Wenn ich in die genervten Gesichter der Fahrgäste in der Menschentraube schaue, kann ich keine überschäumende Freude erblicken. Ich frage nach seiner Dienstnummer, er zeigt sie mir zögernd. Herr 75564 wird grantig, als ich beiläufig erwähne, dass ich Journalist bin und über die Schikanen der Kontrollketten schreiben werde. ‘Meine Nummer erwähnen Sie darin nicht’, sagt er in befehlendem Ton. ‘Warum nicht?’, frage ich verwundert, ‘Sie sind hier doch nicht als Privatperson, sondern in Ihrer Funktion als Chef der Truppe in der Menschenkette!’ ‘Tun´s mich nur zitieren. Sie werden dann schon sehen...’, sagt er in drohendem Ton.

Ein großgewachsener Mann in Zivil kommt hinzu, nicht so aggressiv, sondern eher sachlich. Ich verzichte auf die Dienstnummer, er erzählt von unzähligen Studien, die er gemacht habe, in denen sich zeigte, dass die Menschenketten-Schikane in den Stationsbereichen viel effizienter sei als die Kontrolle in den Zügen. Ich erwidere, dass aber die Fahrgäste genervt sind. Aber nein, erklärt er mir, die Fahrgäste freuen sich, wenn sie kontrolliert werden.

Aha. Bin ich etwa anders als die anderen? Wirkt die Menschenkette aus Kontrolloren und das hastige Kramen im Rucksack wirklich beglückend? Vielleicht mache ich etwas falsch?

Der untersetzte, grimmig dreinblickende Herr 75564 wirft mir noch einen drohenden Blick nach, als ich missmutig der U1 zustrebe.

Tausende Bedienstete der Wiener Linien tun engagiert und freundlich ihren Dienst. Solche schwarzen Schafe wie 75564 sollten, finanziert durch unsere Steuern und Jahreskarten, eigentlich nicht im Kundenkontakt arbeiten.

Offenbar ist das die dunkle Seite der Wiener Linien. Frierende Obdachlose in einem Eck hemmen angeblich den Fahrgaststrom und werden in die Kälte hinausgetrieben. Eine Kette von breitbeinig herumstehenden Kontrolloren mit einem Chef, dem die Anliegen der Fahrgäste wurscht sind, in einem engen Stationsdurchgang am Karlsplatz hemmen den Fahrgaststrom jedoch anscheinend nicht. Trotz der Menschentraube dahinter. Gut, dass der Herr Dipl. Ing. Grois schon geschlafen hat. Über solche Mißstände hätte er sich wohl nicht gefreut.



Verwandte Artikel:


_____
Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /