Stiegensteige-Pflicht

Die merkwürdigen Erlebnisse eines Bahnreisenden, Teil 3

Auch im dritten Teil dieser Bahnreportage soll aufgezeigt werden, wie Bahnreisen in Zeiten des explodierenden Straßenverkehrs attraktiv gestaltet werden könnten. Beziehungsweise was Bahnkunden nervt und zum eigenen Auto treibt.

Stichwort Stiegenschikanen:

Früher, als die Zugdichte noch geringer war, strömten Reisende quer über die Schienen zum einfahrenden Zug. Aus Sicherheitsgründen ist heute das Überqueren der Gleise in vielen Bahnhöfen verboten. Nun wäre es naheliegend, außen, an beiden Seiten der Hauptgleise, Bahnsteige anzubringen, die direkt und stufenlos mit der Umgebung verbunden sind. Nur wer zum Gleis der Gegenrichtung will, muss eine Unterführung benützen.

Schon in den 80er Jahren entwickelte die ÖBB jedoch eine ausufernde Begeisterung für Inselbahnsteige, die also zwischen den Gleisen liegen. Der Grund bestand hauptsächlich darin, dass bei modernen Signalanlagen zuweilen Züge am anderen Gleis unterwegs sein können (Gleiswechselbetrieb, parallel in eine Richtung fahrende Züge, etc.). Der gravierende Nachteil liegt auf der Hand: ALLE Fahrgäste müssen auf JEDEN Fall durch eine Stiegenunterführung. Der Bahnsteig direkt beim Bahnhof (‘Hausbahnsteig’), der stufenlos von der jeweiligen Stadt erreichbar ist, bleibt hingegen völlig ungenutzt. Die Stiegen wurden seit den 80er Jahren viel steiler gebaut als in früherer Zeit (vgl. alter Bahnhof Baden, Otto-Wagner-Stationen der Stadtbahn), wer mit Rollstuhl oder Kinderwagen unterwegs ist, kann sich die Kugel geben, falls nicht irgendwo ein Helfer in Sicht ist.

Sehr viele große Bahnhöfe in Wiens Umgebung leiden unter diesem Missstand, etwa Gänserndorf (Bild 01), Stockerau, Korneuburg (Bild 02), in neuester Zeit sogar Liesing (Bild 3) (wo es allerdings einen abgelegenen Lift in ein Parkhaus gibt), usw. Bei diesen dicht befahrenen Strecken kommt ein Wechsel der Fahrtrichtung extrem selten vor, die Inselbahnsteige verursachen eine völlig sinnlose Stiegen-Quälerei für alte Menschen, Mütter mit Kinderwägen und Rollstuhlfahrer. Viele dieser Treppen in den Unterführungen besitzen nicht einmal Rampen für Kinderwägen oder Rollstühle, etwa Korneuburg, Stockerau oder Wolkersdorf. Der neue ÖBB-Pressesprecher Alfred Ruhaltinger, bis Juni 2006 im PR-Bereich außerhalb des Eisenbahnwesens tätig, versicherte jedoch, dass solche Rampen Schritt für Schritt nachgerüstet werden sollen. Freut uns Bahnkunden, hätte allerdings schon vor 20 Jahren passieren können.

Teilweise werden auch betriebliche Gründe angegeben, warum ein Inselbahnsteig verwendet wird. In Wolkersdorf zum Beispiel, wurde mir vor vielen Jahren vom für NÖ zuständigen Pressesprecher Johann Rankl erklärt, sei der Bahnsteig beim Bahnhof für Schnellbahngarnituren (Doppelgarnituren) zu kurz und könne nicht verlängert werden, da seitlich ein Gütergleis abzweige. Deshalb benützten alle Züge den Inselbahnsteig. Nun, im Jahr 2007, man sehe und staune, wird der Bahnsteig direkt beim Bahnhof Wolkersdorf, ein wenig verlängert, regelmäßig von Schnellbahnen genutzt. Die Einführung eines 15-Minuten-Schnellbahntaktes machte einen dritten Bahnsteig nötig, und es zeigte sich, dass die Verwendung des Hausbahnsteiges mit etwas Phantasie und Geldmittel für einen Umbau möglich war. Angesichts hunderter Fahrgäste, die sich täglich durch die Unterführungen und über die steilen Treppen (ohne Rampen oder Aufzüge) quälen, wäre eine vermehrte Verwendung von außen liegenden Bahnsteigen (wie in Baden oder Strebersdorf) dringend in Erwägung zu ziehen.

In Mödling steht man, von der Kassenhalle kommend, sogar direkt vor der Schnellbahn nach Wien, ist jedoch durch ein Gitter von ihr getrennt und muss Stiegen oder Aufzüge benützen. Anscheinend sind ÖBB-Lokführer mit einem beidseitigen Öffnen und abgesicherten Schließen der Türen überfordert? Hunderte Fahrgäste würden sich sonst die Unterführung sparen können (wobei der Aufzug zum Inselbahnsteig übrigens seit mehreren Monaten (!!) kaputt ist, da die ausländische Aufzugsfirma seit dem Frühjahr 2007 keine Ersatzteile schicken konnte). Ein wenig Phantasie mit beidseitigem Türenöffnen der Schnellbahn könnte ein stufenloses Einsteigen in den Zug ermöglichen: Niederflurschnellbahnen nützen nichts, wenn man vorher dutzende steile Stufen erklimmen muss. (Die zusätzliche Beibehaltung der Mödlinger Inselbahnsteige ist in diesem speziellen Fall übrigens sinnvoll, weil sie ein Umsteigen zwischen Schnellbahn und Eilzügen ermöglicht.)

Im nächsten Abschnitt, Teil 4, wird geschildert, durch welche Fehlentscheidungen der ÖBB gerade eine Nebenbahnlinie ruiniert wird.



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GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Lukas Pawek /