Erlebnisklo bei den ÖBB

Die merkwürdigen Erlebnisse eines Bahnreisenden, Teil 1

Angesichts des seit 1990 explodierenden Straßenverkehrs ist eine attraktive Bahn für Österreich lebenswichtig. In erster Linie ist es dabei nicht wichtig, mit Hochgeschwindigkeit eine Viertelstunde früher am Ziel zu sein, vielmehr sollte die Zeit der Reise als angenehm empfunden werden. Ein geheizter Warteraum, wenn es winterlich kalt ist, ein WC, und an größeren Bahnhöfen ein nettes Wirtshaus, wo man vielleicht Essen gehen kann – all das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Wünschenswert wäre eventuell auch noch ein netter Bahnmitarbeiter am Schalter, der Auskünfte geben kann.

Bild 1 zeigt, wie es sein könnte: Ein mit Blumen geschmückter Bahnsteig, dahinter ein einladender Warteraum, übrigens im Bahnhof Gaweinstal, wo inzwischen der Bahnbetrieb eingestellt wurde. Um Personal einzusparen, wurden in den letzten Jahren viele Fahrkartenschalter kürzer geöffnet oder ganz geschlossen, Bahnkunden wurden auf Automaten oder neuartige SMS-Tickets verwiesen (Bild 2), wobei der Autor dieser Zeilen vor einer Zugreise nach 6 Versuchen scheiterte, ein SMS-Ticket zu erwerben, bis ihm mitgeteilt wurde, dass SMS-Tickets bei Telering-Handys halt nicht funktionieren.

In Leobersdorf an der Südbahn zeigen sich die Folgen der Personaleinsparung an Bahnhöfen besonders krass. Vor 200 Jahren wurde dort eine Wasserstrasse gebaut, die bis an die Adria führen sollte, aber leider schon hinter Wiener Neustadt buchstäblich im Sand verlief (Bild 3). Heute ist Leobersdorf ein Bahnknotenpunkt, wo die Strecke ins Triestingtal von der Südbahn abzweigt und diverse Buslinien abfahren (Bild 4). Also ein Bahnhof, wo man zuweilen warten muss. Arbeitslosigkeit hin oder her, im Juli 2004 wurde der letzte Kassenbeamte entfernt, wobei besonders der Hinweis verwundert, dass man, abgesehen vom Automaten, sich auch an eine Personenkasse in Baden oder Wiener Neustadt wenden könne (Bild 5). Wie man diese ohne Ticket erreicht, oder ob man bei Unklarheiten mit dem Automaten erst nach Baden fahren solle, lässt das Plakat offen. (Wer nämlich ohne Ticket in den Zug einsteigt, zahlt neuerdings mehr als 60 Euro Zuschlaggebühr!!!)

Die Personaleinsparung um jeden Preis erwies sich in Leobersdorf nicht unbedingt als kosteneinsparend, denn der abends zuweilen einsame Bahnhof lud ab sofort Idioten ein, Automaten und Toiletten zu demolieren (Bild 6 und 7). Wobei die Automaten extrem teuer sind und die zahllosen Reparaturen nach jeder Zerstörung Unmengen kosteten. Damit Warteräume in diversen verwaisten Bahnhöfen nicht ebenfalls demoliert werden, verfiel ein Intelligenzbolzen bei den ÖBB auf eine geniale Idee: Ein versperrter Warteraum kann nicht beschädigt werden, gleiches gilt für WC-Anlagen. Daher fanden die verdutzten Bahnreisenden in den vergangenen Jahren in verschiedenen Bahnhöfen auf einmal wunderschön geputzte, unbeschädigte Warteräume vor, die sie allerdings wegen einer versperrten Tür nicht betreten konnten. Telefonisch wurde mir damals erklärt, das Versperren sei eine tolle Idee gewesen. Ich wendete ganz zaghaft ein, dass ich einen beschmierten Warteraum, in dem ich sitzen kann - meinetwegen mit einem leicht beschädigten Sitz - eigentlich lieber habe als einen tollen intakten Warteraum, den ich bei eisigem Schneeregen nur durchs Fenster sehen kann. Dieser Einwand stieß damals, 2004, bei einem hochrangigen Pressemann der ÖBB auf Unverständnis. Dabei wäre es leicht möglich, WC-Schüsseln, Sitzbänke und Türen aus unzerstörbarem Material (Metall, Hartkunststoff) anzufertigen.

Bei einem Lokalaugenschein in Leobersdorf im Jahr 2004 warteten etwa zwei Dutzend Leute auf der Stiege und oberhalb davon im ungemütlichen, zugigen Bahnhofsvorraum stehend (Bild 8), da ein Bus erst in etwa 20 Minuten kommen würde und es keinen Warteraum gab. Damals wurde überdies die geniale Klo-Wochenendsperre eingeführt (Bild 9): Von Freitag Mittag bis Montag früh darf niemand das Bahnhofs-WC benützen. Grund für die Wochenendsperre: Weil kein Bahnbeamter mehr da ist und die Gefahr von Vandalismus zu groß sei. Bahnhofswirtshaus (mit WC) gab es damals auch keines mehr (Bild 10), sodass ein älteres Ehepaar ganz verzweifelt herumirrte und schon überlegte, ob sie im Gebüsch hinter dem Bahnhof ihre Notdurft verrichten sollten (Bild 11, gestelltes Foto). Übrigens, wer in der ÖBB-Hierarchie für diese absurde Maßnahme verantwortlich ist, wollte mir auch jetzt, 2007, selbst nach mehrmaligem Nachfragen niemand mitteilen. Anscheinend fiel die Entscheidung in einer ganz, ganz hohen Ebene der ÖBB-Infrastruktur-Betrieb-Gesellschaft. Schon damals, 2004, erklärte mir ein hochrangiger Pressemitarbeiter der Bahn mit erschreckender menschenverachtender Gleichgültigkeit, die Leute sollten sich halt ihren Klogang einteilen oder auf den nächsten Zug warten.

Im Jahr 2007 staunen Fahrgäste der ÖBB nun über eine neue Idee der ÖBB: Bahnhofstoiletten beispielsweise in Baden, Leobersdorf und Wiener Neustadt können nur mehr gegen Bezahlung benützt werden. Wer keine 50-Cent-Münze hat, muss auf den Klogang verzichten. Heikel ist dies besonders in Baden und Leobersdorf, wo der Fahrkartenschalter abgeschafft wurde. Auf dem ausgestorbenen Bahnhof gibt es abends keine Geldwechselmöglichkeit, wer keine Münze hat, kann seine Fäkalien hinter dem Bahnhofsgebäude absetzen. Als Bahnkunde (und nicht als Journalist) rief ich deshalb bei der Beschwerdehotline an, später kontaktierte mich ein Bahnmitarbeiter, der mich um eine schriftliche Formulierung der Anfrage bat, die er an die Beschwerdestelle weiterleiten musste, da Bahnmitarbeiter keine Auskünfte zu solchen Themen geben dürfen. Von der Beschwerdestelle bekam ich dann allerdings keine Antwort, sondern nur einen Fragebogen. Frau Mag. Doris Pulker-Rohrhofer, Leiterin des Qualitätsmanagements Personenverkehr teilte mir mit, ich könne an der Verlosung einer Fahrkarte teilnehmen, wenn ich per Fragebogen mitteile, wie zufrieden ich mit der Beschwerdebetreuung der ÖBB war. Eigentlich hätte ich, sozusagen als Bahnkunde, lieber eine Antwort bekommen, statt eine Verlosung.

Im Juni 2007, nachdem ich mitgeteilt hatte, dass ich als Journalist recherchiere, bekam ich nach mehreren Wochen dann doch eine Antwort, nämlich ein mail von der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG, vom infra.kundenservice @ oebb.at. Es enthielt buchstabengetreu die originelle Auskunft:

Wir möchten uns für die lange Wartezeit entschuldigen! Aufgrund mangelnder Ressourcen war es uns nicht möglich früher auf Ihr Schreiben zu antworten. Wir dürfen Ihnen folgende Stellungnahme weiterleiten: WC in Leobersdorf: von Fr (14:00 Uhr) bis

Also zusammengefasst: Wenn ich mit dem Zug ankomme und auf einen Bus warte, kann ich ja das WC eines Zuges verwenden, der alle halben Stunden irgendwo hinfährt, wo ich nicht hin will. Oder anders gesehen: Eine halbe Stunde kann man es ja ohne WC aushalten.

Der neueste Stand, Lokalaugenschein im Juli 2007: In Leobersdorf gibt es auch am Wochenende wieder ein WC (gegen Geld), Videokameras sollen Vandalismus verhindern, und es gibt auch längst wieder ein Bahnhofswirtshaus. Wartesaal gibt es überhaupt keinen, wer auf den Bus wartet, kann im Freien auf einer Bank sitzen oder im Fall von Schnee oder Regen in einer sterilen Halle stehen (Bild 08). Wer auf den Zug wartet, findet am Bahnsteigbeginn eine leider dem Wind ausgesetzte Stelle neben der Treppe vor. ‘Erlebnisbahn’ ist das eher nicht (Bild 12, Schülermalerei im Personendurchgang Leobersdorf).

Pressesprecher Ruhaltinger wirkte in einem Telefongespräch sehr engagiert und bemüht und teilte mit, die Geldautomaten an den Klotüren werden teilweise wieder reduziert werden und nur dort bleiben, wo auf sehr einsamen Bahnhöfen besondere Vandalismus-Gefahr herrscht. Insgesamt sei man bemüht, Bahnhöfe ansprechend zu gestalten, auch die Wochenendsperre beim WC in Leobersdorf sei inzwischen abgeschafft worden. Eine Gestaltung von Warteräumen und Toiletten aus unzerstörbarem Material (Metall) sei teilweise aus baurechtlichen Gründen nicht erlaubt.

In vielen Bahnhöfen werden Fahrkartenschalter geschlossen und in Zügen Schaffner eingespart (dafür gibt es beim Fahrkartenkauf im Umfeld von Wien drakonische Preiszuschläge, statt 3 Euro zahlen die Fahrgäste im Zug mehr als 60 Euro Zusatzgebühr). Dafür gibt es aber neu engagiertes Personal in größeren Bahnhöfen: Mitarbeiter von externen Security-Firmen stehen stundenlang planlos herum, kosten Geld und nützen den Fahrgästen überhaupt nichts (Foto 13). Von Zugverbindungen oder Fahrkartenautomaten haben sie keine Ahnung, fragen kann man sie daher nichts. ‘Sandler vertreiben’ sei ihre Aufgabe, erfährt man, äh, nach einer Weile fügen sie hinzu, also nein, es werde den Obdachlosen nur freundlich nahegelegt, den Bahnhof zu verlassen. Aha. Damit die Reichen im Land nicht sehen müssen, dass es Armut gibt? Naja, meint der Security-Mann entschuldigend, die Obdachlosen würden zuweilen stark stinken. Vielleicht mag das stimmen. Aber die Leute im Winter in den Schnee hinaustreiben ist mit Sicherheit keine Lösung.

Hoffen wir nach den engagierten Worten von Pressesprecher Ruhaltinger, man wolle angenehme Bahnhöfe schaffen, wo sich Menschen wohl fühlen, dass im Bahnmanagement kundenfeindliche Maßnahmen künftig vermieden werden. Herumstehende, fad dreinblickende Security-Leute, die Obdachlose vertreiben, sind jedenfalls nicht der Weg dorthin. Als häufiger Bahnfahrer habe ich nie ein Problem mit Sandlern gehabt. Hingegen sind Grundbedürfnisse wie ein heizbarer Warteraum, ein kleines Wirtshaus oder zumindest ein Imbissstand, und vor allem ein geöffnetes, kostenfreies WC essentiell, damit ich mich im Bahnhof wohlfühle. Also ein WC, das ich bei Bedarf auch unter Zeitdruck benützen kann. Und nicht eines, wo ich vom Pontius zum Pilatus rennen muss, um einen Euro-Schein in Kleingeld umzuwechseln (ist mir tatsächlich schon passiert). Und offene Toiletten und Warteräume, mögen sie auch beschmiert und leicht beschädigt sein, sind mir jedenfalls lieber als super-saubere Einrichtungen, die hinter einer versperrten Tür erahnt werden können. Denn durch versperrte Türen gehen kann zumindest ich leider noch nicht.

Im Teil 2 erfahren Sie Erstaunliches: Wie die Gäste einer Kurstadt durch ein Betonmonster geschleust werden, während die Nachbargemeinde aus ihrem Bahnhof eine bezaubernde Oase gemacht hat.



Verwandte Artikel:


_____
Weitere Infos: Linktipp: Gerd Maiers Homepage - www.gerdmaier.com
GastautorIn: Gerd Maier für oekonews.
Artikel Online geschaltet von: / Doris Holler /